Wort zum Sonntag
Geheilte Gemeinschaft (Johannes 20, 19 – 28)
11.04.2015 10:00

„Die Hölle – das sind die anderen“

Versagt haben sie alle: Garcin, der Feigling, Ines, die Verführerin und die leichtfertige Estelle. Nach ihrem Tod treffen sie aufeinander, eingesperrt in einem Raum und erwarten ihre Strafe. Doch es brennt kein Höllenfeuer. Nichts weiter passiert, als dass die drei in alle Ewigkeit nicht müde werden, sich gegenseitig ihre Verfehlungen vorzuhalten. „Die Hölle – das sind die andern“, dieser Satz wurde berühmt aus dem Theaterstück „Bei geschlossenen Türen“ von Jean Paul Sartre.

 

Situationen, in denen Menschen sich das Leben gegenseitig zur Hölle machen, kennen wir wohl alle. Das fängt schon auf dem Schulhof an. Das kann sich zu Hause am Abendbrottisch ergeben. Und manchmal auch schon, wenn wir auf der Autobahn den richtigen Abzweig verpasst haben: Wer ist schuld? Wer passt immer nicht auf? Wer muss immer dazwischen reden? Wenn die Nerven blank liegen, sind immer die andern schuld.

 

Für die Hölle braucht man gar keinen Teufel zu erfinden – die Hölle, das sind die andern. Aber zu Ostern, so glauben wir als Christen, hat auch diese Hölle ihre Macht verloren – und wie das geht, davon wird im Johannesevangelium erzählt.

 

Das Erwachsen aus einem Alptraum

Man kann sich wohl vorstellen: Wie in der Hölle fühlten sich auch die Jünger Jesu nach seinem Tod am Kreuz. Eingesperrt hinter verschlossenen Türen mit ihrer Angst und ihrer Verzweiflung. Und wie sieht da einer den andern so scharf in seiner Schwäche, wie werden da die Vorwürfe laut: Du bist doch als erster weggelaufen! Ja, und du hast gepennt! Und du denkst sowieso immer nur an dich! Mal wird gestritten, mal wird dumpf geschwiegen. Der Eine weint, der andere rennt wie ein Tiger im Raum herum. Thomas kann es nicht mehr aushalten. Fühlt er sich doch selbst wie tot, seit Jesus gestorben ist – er kann jetzt kein Gezänk hören, er läuft weg.

 

Darum ist er nicht da, als sich am Abend plötzlich alles ändert: in dem Augenblick, als Jesus in der Gruppe nicht mehr abwesend ist, sondern sie alle miteinander seine Anwesenheit erfahren: Er, der sie alle zusammengehalten hat, ist da und sie sehen seine Wunden. Und nun sehen sie sich auch gegenseitig wieder in einem neuen Licht.

 

Einer kann dem Andern seine Schwäche vergeben. Sie können sich gegenseitig wahrnehmen als Menschen, die, jeder auf seine Art, auch Wunden tragen. Die angewiesen sind auf Geduld und Verstehen.

 

Das ist wie das Erwachen aus einem Alptraum. Frieden kehrt ein, vielleicht auch Fröhlichkeit wie auf einem Kindergeburtstag. Haben sie doch nun verstanden, was Jesus ihnen zutraut: dass sie aus der Vergebung leben, dass sie den Raum weit werden lassen überall da, wo Menschen sich das Leben zur Hölle machen.

 

Nur Thomas hat davon nichts mitbekommen. Als er zurückkommt, ist er fassungslos angesichts der Fröhlichkeit der andern. Verrückt scheinen sie ihm, der noch so ganz in seinem Schmerz gefangen ist. Er lässt sich nichts erzählen, ihn hat die Gegenwart Jesu nicht erreicht.

 

Die andern halten das aus, sie ertragen seinen höhnischen Zweifel, obwohl es anstrengend ist, wie er den Frieden in der Gruppe stört. Und das hilft dem Thomas, diese Geduld der Freunde, dieses Vertrauen: Du gehörst zu uns mit deinem Zweifel, mit deiner Düsternis.

 

Bis endlich auch Thomas die Augen aufgehen und er es selbst erlebt: Nicht nur für die andern, auch für mich ist Jesus da. Auch in mir will er leben.

 

Die Hölle – sie mag immer da sein, wo uns nichts anderes einfällt als uns gegenseitig Vorwürfe zu machen. Aber wo wir uns gegenseitig gelten lassen mit unsern Fehlern und Irrtümern, mit unsern Wunden und Dunkelheiten – da kann der Raum himmelweit werden.