Morgenandacht
Zwischen den Jahren
Gottes Reich im Niemandsland
27.12.2016 05:35

Hängende Schultern, filterlose Zigarette, Sehnsuchtsaugen. Lässig schaut der Offizier mit Pickelhaube auf dem Schwarzweißfoto in die Kamera. Neben dem deutschen Leutnant stehen Soldaten aus London. Auch sie – verträumte Blicke, dazu Bärte wie sie heute wieder in Mode sind. Im Westen etwas Neues. Zwischen Weihnachten und Neujahr 1914 wollen Briten und Deutsche miteinander kicken, statt gegeneinander kämpfen. Und Schütze Turner hält den Moment mit seiner Pocket-Kamera fest. Warten auf den Anstoß. Ein Fußballspiel, auf dem Schlachtfeld vor der belgischen Stadt Ypern. Noch vor wenigen Tagen hätten sie sich dort ohne Zögern die Schädel eingeschlagen. Jetzt posieren sie gemeinsam für ein Foto zwischen Stacheldraht, Minenfeldern und Granattrichtern.

 

Euch ist gesagt worden: „Hasse deinen Feind!“ Ich sage euch aber: „Liebt eure Feinde, bittet für die, die euch verfolgen (Mt 5,44)!“

 

Alles beginnt an Heiligabend. An diesem Tag im Ersten Weltkrieg schweigen an manchen Frontabschnitten die Geschütze. Und als sich Dunkel über das Schlachtfeld legt, fangen die Deutschen an zu singen. „Stille Nacht, heilige Nacht. Alles schläft, einsam wacht ...“ Dann stellen sie kleine Christbäume auf die Brustwehr der Gräben, zünden Kerzen an. Ein waghalsiges Unterfangen. Denn auf solche Gelegenheiten lauern die Scharfschützen. Doch das Wunder geschieht. Kein Schuss fällt. Stattdessen Applaus. Dann stimmen die Engländer ein Weihnachtslied an. Wieder Klatschen. Dieses Mal von der deutschen Seite. So geht es die ganze Nacht.

Als es dämmert, verabreden Briten und Deutsche einen Gottesdienst. Erst wollen sie die Toten beerdigen, dann Fußball spielen. Genauso passiert es. Etliche Feldpostbriefe aus dem Ersten Weltkrieg erzählen diese Geschichte. Und Schütze Turner aus London macht die Fotos. Britische Zeitungen drucken die Bilder, machen den sogenannten Weihnachtsfrieden weltberühmt. Die „Times“ nennt sogar ein Ergebnis für das Fußballspiel auf dem Schlachtfeld in Belgien. Drei zu Zwei für die Deutschen.

 

Man wird auch nicht sagen: Schau her, hier ist es! Oder: Da ist es! Denn siehe: Das Reich Gottes ist mitten unter euch (Lk 17,21).

 

Als die Generäle vom Wohlgefallen unter den Feinden hören drängen sie zum Angriff. Aber zunächst greifen ihre Befehle ins Leere. Die Soldaten vom Fußballspiel im Niemandsland warnen sich, schießen über die Köpfe der anderen hinweg. Dann werden die Einheiten verlegt und ausgetauscht. Im Januar 1915 pflügen Kanonen und Granaten den Weihnachtsfrieden unter die Erde. Ein Rückspiel, Fehlanzeige. Der Krieg verwandelt Ypern in eine Mondlandschaft.

 

Ich sage euch aber: Liebt eure Feinde! Betet für die, die euch verfolgen (Mt 5,44)!

 

Konter, Flanke, Tor. Selbstvergessen bei Kick and Rush. Findet der Mensch im Spiel zu sich selbst? Liegt darin seine Natur, wie Gott ihn gemeint hat? Die Soldaten auf dem Foto von Schütze Turner könnten dazu etwas sagen. Der Offizier mit Pickelhaube, seine Kameraden aus London. Lässig blicken alle miteinander in die Kamera, warten auf den Anstoß. Auf ihren Gesichtern spiegelt sich Neugier und Staunen. Und noch etwas. Es ist der wundersame Glanz vom unbeschwerten Weihnachtsfrieden 1914. Und die Freude über ein Fußballspiel. Im Westen etwas Neues. Dank eines Lederballs werden Feinde einander zu Nächsten. Zwischen Stacheldraht, Granattrichtern und  Minenfeldern.

 

Segnet, die euch verfolgen ... Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden (Röm 12,14+17.18).