Wort zum Tage
Gemeinfrei via Unsplash/ Daniel McCullough
Viel Schatten – viel Licht
von Militärdekan Dirck Ackermann
14.11.2023 05:20
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„Von den Menschen vorne sieht man immer nur die Schatten.“ So erzählt uns der Pastor der Kirche, in der wir stehen. St. Jürgen in Kiel. Die Kirche ist nicht besonders bekannt. Sie steht abseits der großen Straßen, versteckt hinter einem großen Autohaus. Aber für mich hat sie Bedeutung. Hier wurden meine Frau und ich getraut. Ich erinnere mich, wie wir am Altar von Sonnenlicht umflutet wurden. Aber auf den Hochzeitfotos sind nur unsere Schatten zu erkennen, so stark ist der Lichteinfall durch das Kirchenfenster. Es stimmt schon, was der Pastor sagt: Von den Menschen vorne sieht man nur die Schatten.

St. Jürgen war in Kiel der erste Kirchenneubau nach dem Krieg. 1954 wurde sie eingeweiht. Die Vorgängerkirche war den Bomben zum Opfer gefallen. Mein Vater konnte sich noch erinnern, wie er den Turm in Flammen sah. Das Bild hat er nicht vergessen wie auch nicht die vielen Bombennächte in Kiel, die meine Eltern erlebt haben. St. Jürgen - ein Symbol für die Schrecken des Krieges.

St. Jürgen wurde an einem neuen Ort wiederaufgebaut. Aus der alten Kirche hat man nur die Portale und die Kirchenbänke integriert. Das heutige Gotteshaus wäre an Schlichtheit kaum zu überbieten, wenn da nicht dieses riesige Kirchenfenster im Altarraum wäre. Es reicht vom Boden bis fast unter die Decke. Unten erscheint im Halbrund ein tiefes Rot, das nach oben immer heller wird. Erst dachte ich an die aufgehende Sonne. Aber das tiefe Rot erinnert an die Feuerstürme in Kiel während der Bombennächte. Weiter nach oben wird aus dem Rot ein strahlendes Blau. Das steht für die Erfahrung und die Hoffnung, dass auch nach allem Leid ein neuer Himmel kommen kann.

Wer vor dem Altar steht, wird in ein strahlendes Licht getaucht, so sehr, dass nur noch der eigene Schatten zu sehen ist. Ja, so ist es, denke ich: Wenn Krieg herrscht, erkennt man vielerorts nur noch die Schattenseiten der Menschen, die Schatten des Lebens. Umso notwendiger ist dann die Erinnerung daran: Es gibt Licht. Es gibt Himmel.

In der Bibel heißt es in einem Psalm: Gott, „in deinem Licht sehen wir das Licht“. (Psalm 36,9) Manchmal erscheint das Leben angesichts der Kriege und des Leids nur noch im Schatten. Manchmal sieht man von den Menschen lediglich ihre Schattenseiten. Das Kirchenfenster von St. Jürgen erinnert mich daran: Trotzdem scheint da Gottes Licht.

Es gilt das gesprochene Wort.