Morgenandacht
Drahtseilakt mit Sicherung
16.12.2015 05:35

Ein Tänzer tanzt im Landschaftspark Duisburg auf einem Seil. Ein Balanceakt zwischen zwei Hochtürmen.

 

Veronika Sandmann: Der ist zwar ganz alleine aber dem kann eigentlich nichts passieren, weil er irgendwie gesichert ist. Ich denk durch die Telefonseelsorge, im Notfall hat man jemanden zum Reden.

 

… so beschreibt Veronika Sandmann ein Foto, das sie für einen Foto-Wettbewerb der TelefonSeelsorge eingereicht hatte. Sie hat selbst als Telefonseelsorgerin gearbeitet und weiß: Mancher Tag gerät zum Drahtseilakt. Oder mit dem leidenden Hiob der Bibel gesprochen: Da hat der Abgrund keine Decke. (Hiob 26,6) Da greift die Einsamkeit mit kalter Hand an dein Herz. Das Leben erstarrt. Du stehst am Abgrund. Die Seele irrt durch ein nicht enden wollendes Dunkel. Wo Hilfe suchen? Eine Jugendliche griff in die Tasten und meldete sich per Email bei der TelefonSeelsorge.

 

Thomas Kamm: Also, sie hatte Probleme mit Drogen. Sie kam aus einem Elternhaus: Vater unbekannt, Mutter alkoholkrank, also (ein) sehr instabiles Lebensumfeld. Dann in der Folge Schulprobleme, selber auch Probleme mit Aggressionen, viele Probleme, auch über die Jahre immer wieder andere…

 

So beschreibt Thomas Kamm den Kontakt zu der Jugendlichen, die bei ihm Rat gesucht hat. Thomas Kamm ist stellvertretender Leiter der TelefonSeelsorge Münster. Seit genau 20 Jahren bietet die TelefonSeelsorge diese Möglichkeit der Internetseelsorge an. (1) Hilfe per Email und später auch via Chat. Das hat Vorteile für die Ratsuchenden:

 

Thomas Kamm: Die Besonderheit beim Mailen besteht darin, dass es kein Einmalkontakt bleiben muss.

 

Während bei der Seelsorge am Telefon die Kontaktpersonen immer wieder andere sind, bleiben die Seelsorger beim Kontakt per Email immer die gleichen. So war Thomas Kamm über drei Jahre lang fester Ansprechpartner der 14-Jährigen.

 

Thomas Kamm: …und wir waren das einzige Hilfsangebot, was sie nicht abgebrochen hat in der Zeit. Es gab viele Themen in ihrem Leben, wo sie auch immer versucht hat, vor Ort sich Hilfe zu suchen, aber sie hat das alles nicht durchgehalten.

 

Ihre Sicherheitsleine im Leben bestand im Kontakt zum Internetseelsorge. Hier hatte sie einerseits ein festes Gegenüber. Andererseits…

 

Thomas Kamm: …aber kein Gegenüber, was auf sie Einfluss nehmen konnte. Und ich glaube, darin lag die Chance in diesem Fall. Und ich glaube, grundsätzlich ist das eine große Chance, dass der Mailende immer selber entscheidet, wie intensiv es wird, wann der Kontakt auch endet oder wann er mal dünner, mal intensiver wird. Ein sehr flexibles Medium, auch über eine lange Zeit, wenn man das denn will und braucht.

 

Das ist nur ein Vorteil der Seelsorge im Internet. Ein weiterer liegt darin:

 

Birgit Knatz: Dass ich mit mir selber erst mal meine Gedanken sortieren und ordnen kann und die dann in eine Tastatur gebe und das Ganze noch mal kontrollieren kann und dann erst abschicke. Und dieses Gefühl von „selbst kontrollieren zu können, was da geht“, gibt vielen Menschen eine Sicherheit.

 

… sagt Birgit Knatz von der TelefonSeelsorge Hagen-Mark, eine der Initiatorinnen der Internetseelsorge. Es melden sich hier auffällig viele Kinder und Jugendliche. Manche trauen sich nur hier, zu sagen, dass sie mit dem Gedanken spielen, sich umzubringen. Ansonsten kommen die Alltagsprobleme vor:

 

Thomas Kamm: …von Konflikten im Elternhaus, Schulnoten, auch Auseinandersetzung in der Klasse oder Clique, Mobbing. Aber auch manchmal einfach nur Traurigsein. Traurigsein, weil das Lieblingstier gestorben ist, weil Oma gestorben ist.

 

Da Kinder noch nicht die Erfahrung haben machen können, dass es nach einer Krise weitergehen kann, stehen sie schneller am Abgrund, verlieren den Halt auf dem Drahtseil des Lebens, meinen die Seelsorger.

Das Leben – ein Drahtseilakt. Mit Sicherung. Durch Menschen wie du und ich, die helfen. Die da sind – nebenan, am Telefon, per Email oder im Chat. Gott sei Dank.

 

 

TelefonSeelsorge im Internet: 21.000 Emailanfragen kommen bundesweit an und über 6000 Chatkontakte kommen zustande (Zahlen 2013); http://telefonseelsorge.de/

 

Infos zur Ausleihe der Foto-Ausstellung anlässlich 20 Jahre TelefonSeelsorge im Internet: 

Die Ausstellung ist als Wanderausstellung konzipiert und kann bezogen werden über die 

Geschäftsstelle der Evangelische Konferenz für TelefonSeelsorge und Offene Tür e.V., 

Caroline-Michaelis-Str. 1, 10115 Berlin, Telefon: 030/65211-1681,

E-Mail: telefonseelsorge@diakonie.de