Wort zum Tage
Freiheit und Fremde
27.10.2015 05:23

Ida Pfeiffer findet sich nicht ab. Sie ist eine resolute Dame mit einer großen Sehnsucht: Sie will reisen. Ferne Länder sehen. Schreiben. Seit Kindertagen trägt sie das Fernweh mit sich herum. Doch sie muss erst 45 Jahre alt werden, bis sie es wagen kann, sich diesen Traum zu erfüllen. Sie ist Witwe, Mutter zweier erwachsener Söhne und hat endlich etwas Geld geerbt – jetzt kann sie niemand mehr aufhalten. Es ist das Jahr 1842. Die erste Reise führt über Konstantinopel, nach Ägypten, Palästina bis nach Syrien, über Sizilien und Italien zurück nach Wien, in ihre Heimatstadt. Neun Monate ist sie unterwegs. Ihr Tagebuch, das sie zunächst anonym veröffentlicht, wird ein Bestseller: „Reise einer Wienerin ins Gelobte Land“. Und sie reist weiter: nach Island, Dänemark, Norwegen und Schweden, unternimmt zwei mehrjährige Weltreisen unter größten Strapazen – und sicher meist im langen Rock. Biedermeier eben.

 

Wenn ich ihre Texte heute lese, beginne ich unwillkürlich über meine Art zu reisen nachzudenken. Mit Auto, ICE und Flugzeug. Ab und an auch zu Fuß – aber eher selten. Mehr in Form von Tagesausflügen oder Wanderungen. Ich reise zur Entspannung, um meinen Alltag zu unterbrechen, ja, auch um etwas von der Welt zu sehen. Aber ich bin gewissermaßen gerne zum Abendessen wieder zuhause. Dieses leidenschaftliche Fernweh, das Ida Pfeiffer zu diesen Strapazen motivierte, ist mir fremd. Dieser wilde Wunsch rauszukommen aus meiner Welt geht mir ab. Was vermutlich auch damit zu tun hat, dass mir meine Welt meistens gefällt. Deutsch, Mittelstand, akademisch gebildet, Friedenskind. Ich brauche zwar ab und an einen Tapetenwechsel – aber dazu reichen in der Regel ein paar Tage Ostsee. Ich muss nicht weg. Was für ein Privileg, mit einem solchen Lebensgefühl zu leben. Ich weiß nicht, wie das ist, wenn man einfach nur weg will. Oder muss.

 

Ida Pfeiffer steckt im Korsett eines Frauenlebens der Biedermeierzeit. Aber sie findet sich nicht damit ab. Im Reisen, im Unterwegssein, in der Fremde erlebt sie eine Freiheit, die in ihrer Zeit für Frauen nicht vorgesehen war. Ida Pfeiffer stirbt am 27. Oktober 1858 – heute vor 157 Jahren. Sie inspiriert noch immer. Denn sich nicht abzufinden und sich auf den Weg zu machen, ist auch eine Frage des Mutes. Und diesen Mut wünsche ich mir.