Wort zum Tage
Tyrann oder König
31.10.2015 05:23

Es ist das Wort „Tyrann“, das den englischen König James empört. Seit der protestantisch-anglikanischen Wende im 16. Jahrhundert soll das Volk selbst die Heilige Schrift lesen - doch ausgerechnet in der in England beliebtesten Bibel ist das Wort „König“ konsequent mit „Tyrann“ übersetzt. Rund 400mal wird das Königtum schlicht mit Gewaltherrschaft gleichgesetzt. Das entspricht der politischen Auffassung vieler Puritaner. Und die wird der Monarch von Gottes Gnaden, Oberhaupt der anglikanischen Kirche, nicht hinnehmen. König James beruft ein Übersetzergremium, 47 Gelehrte, die in jahrelangen Arbeitsgruppen eine neue maßgebliche Bibelübersetzung auf den Weg bringen sollen. 1611 ist die erste Fassung fertig, die 7. Auflage von 1769 wird noch heute im englischen Sprachraum meistens verwendet, die hoch geschätzte King James Bibel. Das Wort Tyrann kommt nicht mehr vor.

 

Übersetzungen, auch Bibelübersetzungen, spiegeln Gesinnungen und transportieren Botschaften, die in den Text hineingelesen werden. Auch Martin Luther, dessen Wirken am heutigen Reformationstag in den evangelischen Kirchen gewürdigt wird, übersetzte nicht wertneutral. Seine großartige, sprachbildende Bibelübersetzung kann den Blick nicht nur öffnen, sondern zuweilen auch verstellen.

 

Ein kleines, aber sprechendes Beispiel, findet sich in einer Heilungsgeschichte im Neuen Testament. Eine kranke Frau berührt – wie Luther übersetzt – den Saum von Jesu Gewand und wird gesund. Es geht um das Wörtchen „Saum“. Welches innere Bild ruft es hervor? Den Mann mit dem langen Gewand, als der Jesus gerne dargestellt wird? Doch im griechischen Text steht gar nichts von einem Saum. Da steht, die Frau berührt die Fransen oder Troddel an Jesu Mantel. Was sind das für Fransen? Es sind die sogenannte Schaufäden, ein Bestandteil der traditionellen jüdischen Gebetskleidung. Das vertraute Bild Jesu wird zurechtgerückt: Er war ein Jude. Kein Christ in bodenlangem Kittel. Das hat in den Kirchen lange kaum jemand wirklich denken können. Und daran hat auch Luther mitgewirkt, seine Übersetzung hat den jüdischen Menschen Jesus hier unsichtbar gemacht.

 

Übersetzungen haben Einfluss, vielleicht sogar Macht. Es ist darum wichtig, sie immer wieder zu überprüfen, darüber nachzudenken, wer mit welchem Interesse für wen übersetzt. Das gilt nicht nur für die Bibel. Überall, wo Sprachen und Kulturen aufeinandertreffen, und wo man verstehen will, braucht es gute Übersetzer. Es ist ja nicht gleichgültig, ob man es mit Tyrannen oder mit Königen zu tun hat. Zum Beispiel.