Morgenandacht
Strenger Gott voller Liebe
17.12.2016 05:35

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit- so singen wir im Advent. Wenn Gott kommt, gehen Türen auf. Ein Zug kommt zum Stehen und Engel fliegen. Wenn Gott auf die Erde kommt, begreifen Menschen, was wirklich zählt.

 

Das habe ich verstanden, als ich vor ein paar Tagen Gott selber begegnet bin. Es hat eine Weile gedauert, bis ich das begriffen habe. Man begreift ja immer erst im Nachhinein, dass man es mit Gott zu tun gehabt hat. Jedenfalls bin ich mir inzwischen sicher, dass es Gott war. Höchstpersönlich. Im Intercity. Er hatte Jeans an und eine schwarze Lederjacke und in der Nase steckte ein Piercing. Er war eigentlich eine sie, Mitte dreißig und offensichtlich Mutter einer kleinen Tochter. Milla, ungefähr vier Jahre alt. Gott hatte auch einen Ehemann, der Vater von Milla, der war auch da.

 

Die drei stehen also miteinander im Eingangsbereich des Intercity. Der Zug fährt in den Hauptbahnhof ein und Milla ist ganz aufgekratzt. Sie freut sich und will sofort aussteigen. Aber der Zug rollt noch. Milla zieht am Haltegriff der Tür. „Nein“ sagt Gott. Das darfst du nicht anfassen.“ Milla zuckt zurück. Dann streckt sie den Zeigefinger aus und versucht, den roten Knopf zu drücken. In der Hoffnung, dass die Tür aufgeht. „Ich habe gesagt nein! Das ist verboten.“ Der Zug rollt und Milla legt den Kopf schräg. Dann versucht sie es mit dem grünen Knopf. „Was hab ich gesagt?“ Jetzt hat Gott eine steile Falte auf der Stirn und schaut ernst. Milla zieht die Schultern hoch und versucht es ein letztes Mal am grünen Knopf. Gott schaut jetzt sehr böse. „Das ist Tabu, hab ich gesagt. Das geht gar nicht. Jetzt werde ich aber böse!“

 

Ein bisschen unfreundlich, denke ich. Geht das nicht netter? Gut, das mit den 10 Geboten, die Gott den Menschen gegeben hat, das ist schon in Ordnung. Die sind ja auch wichtig, damit die Menschen nicht in Schwierigkeiten kommen. „Du sollst nicht stehlen, nicht lügen, nicht töten“ ist alles im Interesse der Menschen. Mit ein bisschen Vernunft müssten sie das eigentlich selber begreifen und geradezu dankbar sein, dass Gott sie vor Schlimmerem bewahren will. Wenn man die Tür des Intercity öffnet, bevor er zum Stehen gekommen ist, dann kann das echt gefährlich werden. Vor allem für so ein kleines Kind wie Milla. Die könnte zwischen Zug und Bahnsteig rutschen und dann – nein, das würde ich auch nicht sagen.

 

Ich muss Gott recht geben. Besser, Gott fordert jetzt einfach mal blinden Gehorsam um Milla zu schützen. Als lang und breit erklären und ausmalen, was alles passieren könnte.

 

Milla aber will es wissen. Sie streckt ihre Hand aus, einfach so – und schaut Gott dabei ins Gesicht. Dann erstarrt sie und zieht die Hand zurück. Und sagt, mit unendlich trauriger Stimme: „Jetzt bin ich nicht mehr deine Milla.“ Mir kommen fast die Tränen, aber Gott sagt nur. „Paperlapapp! Natürlich bist du meine Milla. Wer denn sonst! Du bist und bleibst immer meine Milla. Da kannst du machen, was du willst.“

 

Für einen Moment schaut Milla ganz verwirrt. Und ich denke: genau so ist Gott: du kannst sie zur Weißglut bringen und nerven. Du kannst dein Leben riskieren mit deiner Dreistigkeit, Aber du bleibst immer Gottes Kind. Da kannst du machen, was du willst. Immer bleibst du in ihrer Liebe.

 

Die Bremsen quietschen und der Zug hält an. Wir haben den Bahnhof erreicht. Macht hoch die Tür, die Tor macht weit. Es kommt der Herr der Herrlichkeit.

 

Und Milla lacht. Sie nimmt Gott bei der linken Hand und ihren Papa bei der rechten und sagt: „Wenn wir jetzt ausgestiegen sind, machen wir dann wieder Engelchen-flieg?“