Morgenandacht
Von Gerechtigkeit träumen
08.04.2017 06:35

Das Video kann ich nicht einfach unterbrechen – keine Pausentaste. Wie sonst so oft bei Musikvideos. Wenn es schnell langweilig wird. Aber der tanzenden Frau in dem schönen Kleid muss ich bis zum Schluss zusehen:

„Wenn sie tanzt, ist sie woanders / für den Moment, / dort wo sie will. / Und wenn sie tanzt …“

 

Ein kleines Mädchen hat mir von dem Video erzählt. Mit Tränen in den Augen. Offensichtlich ganz angerührt. Wir gucken und hören zusammen:

 

Ne ganz normale 50 Stunden Woche. / Heim kommen /

und erst mal für die Kleinen kochen. / Ist für sie ja kein Problem

weil die Kids für sie an erster Stelle stehen.

Sie fragt sich wie es gelaufen wäre,

ohne Kinder selber laufen lernen, aber ihr Tag lässt keine Pause zu …

 

Das sind keine Kinder-Gefühle. Sondern Erwachsenen-Gefühle: die Balance zu suchen zwischen Alltagsstress und Alltagsflucht. Aber das kleine Mädchen erahnt vielleicht etwas davon, wieviel diese durch das Video tanzende Frau schaffen muss. Geschrieben hat Max Giesinger das Lied für seine alleinerziehende Mutter. Er sagt:

Erst später ist mir so richtig bewusst geworden, dass das natürlich auch nicht immer ganz einfach war für sie und dass das eine ganz schöne Leistung ist. Dafür bin ich natürlich sehr dankbar. Damals wie heute gibt es Situationen im Leben, denen man gerne entflieht, durch die man letztlich aber auch zu schätzen weiß, was man hat und was einen wirklich glücklich macht. Genau dafür steht Wenn sie tanzt.“

 

Das Lied ist poppig und poetisch zugleich. Gejammert wird nicht, aber die schwierigen und die schönen Seiten alleinerziehender Eltern schimmern auf. In Deutschland kümmern sich 1,6 Millionen Frauen und Männer alleine um ihre Kinder. Das sind viele. Dennoch sind sie nur selten Thema in den Medien.

 

Ist das gerecht? Der Job, Kochen, Hausaufgaben. Alles für die Kinder. Da bleibt nur wenig Zeit für Freunde, Ausgehen, Sport. Die Single-Mama in dem Song von Max Giesinger findet ihren Ausgleich in der Musik. Sie legt eine Platte auf, träumt sich davon.

 

Dann geht sie barfuß in New York, / trampt alleine durch Alaska. / Springt vor Bali über Board / und taucht durch das blaue Wasser. / Wenn sie tanzt, ist sie woanders. / Lässt alles los nur für das Gefühl …

 

Ich mag das Positive, das Leichte des Liedes, auch wenn es über Schweres erzählt. Alleinerziehende Eltern sind besonders oft von Armut betroffen, sagt die Statistik. Wo bleibt da Gerechtigkeit?

 

Sie würde gerne mal auf 'n Date gehen. / In ihrem Lieblingskleid nicht nur vor dem Spiegel stehen./ Aber ob sie sich das traut, / selbst wenn die Zeit es mal erlaubt. …

 

In der Bibel gibt es eine klare Definition von Gerechtigkeit. „Einer trage des anderen Last.“ Wer Hilfe braucht, soll sie bekommen. Gefordert sind dabei alle in einer Gesellschaft.

 

Wenn sie tanzt, ist sie woanders / für den Moment, / dort wo sie will. / Und wenn sie tanzt …

 

Mit Musik träumt sie sich fort. Findet Ausgleich zu ihrem Alltag. Schließlich tanzt sie im Video zusammen mit ihren Kindern. Aber so einfach ist es nicht. Die Sorgen und Leistung alleinerziehender Eltern verdienen mehr. Unterstützung, Anerkennung, Aufmerksamkeit durch die Gesellschaft. Tatkräftig. Das wäre gerecht. Wie leicht es sich tanzen ließe, wenn einer des Anderen Last trüge…