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Die Sendung zum Nachlesen:
Das fein geschliffene Glas auf der Fensterbank leuchtet in der Sonne und spiegelt das Licht. Wenn man es richtig anschlägt, klingt es hell und vibriert lange nach. Wie kostbar das Glas ist – ich habe immer mal wieder Angst, es könnte zu Boden fallen. Ich glaube, jede kennt das von den Gläsern und Schalen, bei denen Mutter immer darauf hingewiesen hat, wie zerbrechlich das kostbare Stück war. Eines Tages stößt Du dann doch mit dem Ellenbogen dagegen, rutschst beim Staubwischen mit der Hand aus … So sehe ich im heilen Glas schon die kommenden Scherben. Dem Glas wohne das „zwangsläufige Zerbrechen“ inne, schreibt der Dichter Ajam Kham. „Wenn wir verstehen, dass dieses Glas bereits so gut wie zerbrochen ist, wird mir jede Minute, die ich damit verbringe, kostbar. In jeder Minute, die ich damit verbringe, bin ich glücklich“. Wie wäre es, wenn ich so auch meine Mitmenschen anschauen - oder wenn ich mich selbst so sehen würde. Zerbrechlich - schön. Endlich lebendig.
Ich denke an Axel, den Sohn von Vaters bestem Freund. Mit Anfang 20, als wir beide studierten, hatte er nur noch wenige Jahre zu leben- und er wusste das. Er hatte Muskelschwund, an dem auch schon sein Vater gestorben war. Aber Axel zog sich nicht zurück in Grübeleien, er ließ sich nicht klein kriegen von der Angst vor der Zukunft. Ganz im Gegenteil: Axel studierte mit Leidenschaft; er liebte das Theater und beteiligte sich an einer Filmproduktion. Und er nutzte die Zeit, um mit seinem Zivi im Rollstuhl durch die Welt zu reisen- von Griechenland bis nach Fernost. Oft habe ich ihn um seine Lebensfreude beneidet – denn mir selbst ging es damals nicht gut; ich war mir unsicher über Studium und Zukunft. Von Axel habe ich gelernt, den Tag zu genießen, und mich an der Schönheit zu freuen. Dabei war mir klar, dass seine radikale Liebe zum Leben wohl mit dem Bewusstsein der Grenze zu tun hatte, mit der er lernen musste umzugehen. Umso mehr kann ich sagen: Von Axel habe ich gelernt, mich frei zu machen von falschen Ängsten und Sorgen.
Das ist die Haltung, die Jesus in der Bergpredigt vermitteln will - den Tag ernst nehmen, sich an den Lilien auf dem Felde freuen, statt in der Angst vor der Zukunft die Gegenwart zu verraten. Auch von Kindern können wir lernen, so zu leben. Die erste Seligpreisung in der Bergpredigt bringt es auf den Punkt. Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Gelingendes Leben, wie Jesus es versteht, hat damit zu tun, dass ich mein Herz für den Himmel offenhalte. Für Gott, für die Seligkeit. Und dass Jesus darüber hinaus auch die Leidenden, die Hungernden und Dürstenden seligpreist, verstehe ich so: Sie machen Erfahrungen, die jenseits unserer Leistungsmentalität liegen: satt werden, getröstet werden, Gott schauen. Kurz: sie können sich als beschenkt erleben.
Als Menschen mit Behinderung wissen wir, „was es bedeutet, dass sich das Leben unerwartet von Grund auf verändern kann“. Das schreibt eine Arbeitsgruppe von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen, die der Weltrat der Kirchen eingesetzt hat. „Vor allem geht es darum zu vertrauen“ sagen die Betroffenen. Wir sind Gott in jener leeren Dunkelheit begegnet, in der uns bewusst wurde, dass wir ‘die Kontrolle‘ über uns verloren haben, und wir haben gelernt, auf Gottes Gegenwart und Fürsorge zu vertrauen.“
Wahrscheinlich müssen das alle irgendwann lernen. Manche von Geburt an, andere bei einem Unfall, wieder andere bei einer Krebserkrankung, einem Herzinfarkt: Das Leben ist zerbrechlich wie Glas. Aber es ist auch so schön und so kostbar wie ein klares Glas, das im Licht strahlt und in der Sonne glitzert. Mit dem Blick aufs Licht, will ich mein Leben aufstellen- das habe ich von Axel gelernt.
Es gilt das gesprochene Wort.