Eine Bombe gegen den Krieg

Am Sonntagmorgen

Lucky Bird Pictures (C) Bernd Schuller

Eine Bombe gegen den Krieg
Der Hitler-Attentäter Georg Elser
12.04.2015 - 08:35
26.03.2015
Pfarrer Christian Engels

9. April 1945. Die Nationalsozialisten wissen: Deutschland wird den Krieg verlieren. Zeugen des Widerstands wollen sie nicht überleben lassen.

 

Steinbach: Der 9. April 1945 dient den Nationalsozialisten eigentlich dazu, ihr Gegenbild, ihre Gegenelite, diejenigen, die (…) gegen sie stehen, auszuschalten. In Sachsenhausen wird an diesem Tag Hans von Dohnanyi ermordet, in Flossenbürg werden ermordet Canaris, Sack und Bonhoeffer. Und in Dachau wird (..) in derselben konsequenten Aktion (…) Elser umgebracht.

 

Professor Peter Steinbach ist Historiker und wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Die Menschen, die gegen Hitler und gegen die nationalsozialistischen Machthaber Widerstand leisteten, haben für ihn bleibende Bedeutung.

 

Steinbach: Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist vielleicht nicht der größte, aber ist der wichtigste Beitrag, den die Deutschen zur Geschichte der Menschenrechte leisten konnten.

 

Georg Elser war einer der Menschen, die am 9. April 1945 von den Nationalsozialisten umgebracht wurden. Er hatte versucht Hitler mit einer selbstgebauten Bombe zu töten. Jetzt, siebzig Jahre nach der Hinrichtung Georg Elsers im KZ Dachau, ist ein neuer Spielfilm über ihn in den Kinos. Drehbuch und Produktion des Films liegen bei Fred Breinersdorfer. Die Menschen des Widerstands haben auch für ihn eine Wirkung bis in die heutige Zeit.

 

Breinersdorfer: Wir haben ja heute auch in unserem Grundgesetz das Widerstandsrecht, und die Pflicht, Widerstand zu leisten, was wenige wissen. Vielleicht wird’s durch diesen Film ein bisschen ins Bewusstsein gehoben.

 

Georg Elser nimmt im Widerstand gegen den Nationalsozialismus eine besondere Stellung ein. Er war kein jugendlicher Intellektueller wie der Kreis der Weißen Rose um Hans und Sophie Scholl. Er war kein Offizier wie Stauffenberg oder Canaris. Georg Elser war einfacher Schreiner und Uhrmacher.

 

Steinbach: Der Antipode Hitlers, hat dann später ein Historiker gesagt. Weil er… eigentlich hatte er eine ganz ähnliche Herkunft wie Hitler (…) Stammt aus kleinen Verhältnissen, aus beengten Verhältnissen, problematische Familienverhältnisse. Also, Peter Stern sagte: Das ist der Antipode Hitlers.

 

Aber Georg Elser hat sich anders entwickelt. Ganz anders. Er ist Kommunist, 30 Jahre alt, als die Nationalsozialisten an die Regierung kommen. Genau beobachtet er, wie sie herrschen. Und sieht, dass es den Arbeitern schlechter geht als vorher. Aber spätestens 1938 erkennt Elser noch etwas anderes, etwas Schlimmeres. Im Film erzählt er seinem Freund Josef davon:

 

Elser: „Die wollen Krieg. Und das wird brutaler, als wir uns das vorstellen können, wenn sie jetzt schon Panzer im Akkord bauen.“

Freund: „Ja, vielleicht gibt’s wieder nur einen Einmarsch wie in Böhmen-Mähren.“

Elser: „Gegen England und Frankreich und weiß Gott noch, wen der Hitler angreift? Josef, wir gehen alle vor die Hunde, und das ganze Land mit uns.“

 

Im Grunde war es nicht schwer, zu dieser Erkenntnis zu kommen, denn…

 

Breinersdorfer: … die Nazis haben nicht heimlich aufgerüstet, sie haben mit ihrer Aufrüstung geprotzt. Sie haben nicht heimlich Minderheiten und Juden diskriminiert, sondern sie haben das auch angekündigt und auch damit geprotzt. Und sie sind nicht heimlich in anderen Ländern einmarschiert, wie beispielsweise in die Tschechoslowakei, sondern mit großem Pomp und Trara.

 

Vor aller Augen wird ein Krieg vorbereitet, für Georg Elser ein unerträglicher Gedanke. Er weiß, dass Krieg nur Leid bringt. Aber mit dieser Erkenntnis steht er weitgehend allein in Deutschland im Jahr 1938, wie Professor Steinbach beschreibt.

 

Steinbach: Viele lebten in ihren verblendeten Verhältnissen. Sie glaubten, dass das Weltjudentum die größte Gefahr Deutschlands sei. Sie glaubten, dass der Bolschewismus besiegt werden muss. Sie glaubten, dass man einen Krieg führen muss, um ein für alle Mal die Vormacht Deutschlands in Mitteleuropa oder vielleicht sogar in der Welt zu sichern. Elser glaubte das nicht.

 

Georg Elser beschließt, etwas zu tun. Und er beschließt, direkt gegen Hitler vorzugehen. Er weiß, dass Hitler jedes Jahr am 8. November im Münchner Bürgerbräukeller eine Rede hält. Ein fester Termin, auf den er sich als Einzelner vorbereiten kann. Und das tut Elser. Er zieht nach München. Er schleicht jeden Abend in den Bürgerbräukeller und lässt sich dort heimlich einschließen. Auf den Knien höhlt er Stück für Stück eine Säule aus, soweit, dass er seine Bombe darin verstecken und die Säule wieder schließen kann. Es scheint unmöglich zu sein, dass ein Einzelner alleine so zielstrebig, so stur, so lange an einer Sache arbeitet. Drehbuchautor Fred Breinersdorfer ist bei der Recherche des Lebens von Georg Elser klargeworden,…

 

Breinersdorfer: … dass er nur in seinem Glauben die Kraft gefunden hat. Selbst wenn man kein Christ ist, oder nicht weiß, ob man Christ ist, wie ich, muss man dies einfach als Realität dieser Persönlichkeit sehen und akzeptieren.

 

Als evangelischer Christ beschäftigt sich Elser stark mit der Frage, ob er Menschen töten darf, ob er in Kauf nehmen darf, dass Unschuldige sterben. Das belastet ihn bis zum Ende seines Lebens. Aber Elser fällt eine Entscheidung, wie Fred Breinersdorfer erklärt.

 

Breinersdorfer: Er hat unter diesem Dilemma gelitten. Das kann man auch ganz klar aus den Protokollen seiner Vernehmungen herauslesen. Er ist beispielsweise relativ regelmäßig in die Kirche gegangen, in München, in katholische Kirchen, obwohl er protestantisch war, um Zwiesprache mit seinem Schöpfer zu halten. (…).Er hat wohl abgewogen zwischen den zu erwartenden Opfern seiner Bombe und der Veränderung der Geschichte, die er angestrebt hat.

 

Darauf kommt es Georg Elser an. Er will die Geschichte und die Welt verändern. Er will den Krieg verhindern. Er plant das erste große Attentat auf Hitler und bereitet den Anschlag minutiös vor. Am 8. November 1939 ist es soweit. Georg Elsers Bombe tickt, während Hitlers seine Rede hält, in der Säule dicht neben dem Reichskanzler. Aber Hitler verlässt den Bürgerbräukeller früher als geplant, um das gute Wetter für die Rückreise nach Berlin zu nutzen. Die Bombe explodiert, dreizehn Minuten, nachdem Hitler gegangen ist. Acht Menschen sterben, darunter eine Kellnerin. Georg Elser scheitert. Und in den nächsten Jahren hören Soldaten auf allen Seiten des Weltkriegs ein Lied von Trennung, von Angst und Sehnsucht.

 

Musik: Marlene Dietrich, Lili Marleen (Marlene Dietrich – Die großen Erfolge)

 

Angenommen Elsers Attentat wäre erfolgreich gewesen. Hitler wäre dreizehn Minuten länger im Bürgerbräukeller geblieben und die Bombe hätte ihn getötet. Hätte Elser wirklich die Welt verändert?

 

Breinersdorfer: Er hätte es mit Sicherheit, weil ja nicht nur Hitler zugegen war, sondern unmittelbar an dem Ort, wo die Bombe explodiert ist, saß ja die gesamte Gangsterbande (…) Da saß Heß, da saß Ley, da saß Frank, Heydrich, Goebbels, Himmler. Der einzige, der nicht da war, war Hermann Göring. Und ob er mit den verbliebenen Kadern dieses Systems das so durchgezogen hätte, also einen derartig infernalischen Krieg angezettelt hätte, oder auch den Holocaust durchgeführt hätte, bezweifeln viele Historiker, ich persönlich auch.

 

Elser wird kurz nach der Explosion verhaftet, als er über die Grenze in die Schweiz fliehen will. Die Beamten der Gestapo und der Kriminalpolizei können eines nicht fassen: dass Elser alleine gehandelt hat. Joseph Goebbels gibt sofort die Vermutung bekannt, dass hinter Elser die Engländer stehen. Der neue Spielfilm über Elser macht deutlich, wie absurd diese Vorstellung war:

 

Müller: „Zum letzten Mal: wer sind Ihre Hintermänner?“

Elser: „Gut. Dann sag ichs halt. Bei uns im Dorf gibt’s nur zwei Telefone. Der Churchill hat mich im Milchladen angerufen, weil im Rathaus wärs eher schlecht gewesen. Der Churchill hat mich angerufen und gesagt: Elser, bau eine Bombe und jag den Hitler für mich in die Luft, wir alleine schaffen das nicht.“

 

Georg Elser kommt ins KZ, zuerst nach Sachsenhausen. Er ist „Sonderhäftling des Führers“ und soll für einen großen Schauprozess nach dem gewonnen Krieg bereitgehalten werden. Erst als klar ist, dass Deutschland den Krieg verliert, lassen die Nationalsozialisten Elser ohne Aufsehen erschießen. Nach dem Krieg wird Georg Elser lange nicht von der Öffentlichkeit beachtet, auch nicht im Vergleich zu anderen, die Widerstand gegen Hitler geleistet haben. Fred Breinersdorfer erklärt, warum.

 

Breinersdorfer: Die „Weiße Rose“ hatte die Lobby des bürgerlichen, intellektuellen Hintergrunds, (…) und die Offiziere hatten die Lobby der Aristokratie und entsprechend großbürgerlicher Kreise. Elser war Kommunist, war Einzeltäter, ihm fehlte auch der Gruppenrückhalt, und er war in seiner Radikalität vielleicht noch erschreckender als die anderen für die Nachkriegsgesellschaft.

 

Auch die Legende der Nationalsozialisten, dass Elser ein Werkzeug der Engländer gewesen sei, hielt sich lange. Martin Niemöller, der lange als evangelischer Pfarrer selbst im KZ saß, war sogar überzeugt, dass Elser eigentlich ein Spitzel der SS gewesen sei. Doch dann gab es einen überraschenden Fund.

 

Steinbach: Man fand ein zweihundertseitiges Protokoll der zusammengefassten Verhöre Elsers. (…) Nur dadurch sind wir als Historiker überhaupt in die Lage versetzt worden, zu überlegen: Was könnte er denn gesagt haben?

 

Historiker bekamen durch diese Papiere ein konkretes Bild von Georg Elser, dem Mann, der ganz alleine beschlossen hat, den Krieg aufzuhalten. Erst dadurch wurde Georg Elser bekannt. Heute sind Straßen nach ihm benannt und es gab eine Sonderbriefmarke zum 100. Geburtstag. Der Historiker Peter Steinbach beschreibt diese Entwicklung der Erinnerung an Georg Elser.

 

Steinbach: Wichtig ist, dass dadurch die substantielle, die existentielle Auseinandersetzung mit diesem Menschen (…) nicht verdrängt wird. Eine Ritualisierung der Erinnerung wäre das Ende einer produktiven Auseinandersetzung.

 

Jetzt ist „Elser“ als Spielfilm im Kino. Der Film erzählt, warum Elser die Bombe gebaut hat. Und er erzählt stark und berührend vom Widerstand. Das kommt zur richtigen Zeit.

 

Breinersdorfer: Wir werden durch das, was wir momentan erleben, also den Einfluss multinationaler Konzerne und Geheimdienste auf der einen Seite, und durch (…) die Angriffe von durchgeknallten, testosterongesteuerten Terroristen eine starke Einschränkung unserer zivilbürgerlichen Rechte erfahren, und das ist ‘ne ganz bittere Sache.

 

Elser selbst ist trotz seines Bombenanschlags auf Hitler kein Terrorist...

 

Breinersdorfer: Ein Terrorist zerstört aus der Vorstellung heraus, dass er im Besitz der Wahrheit ist, seine Umwelt, (…) während er immer altruistisch argumentiert hat, und gesagt hat, ich will weiteres Blutvergießen verhindern.

 

Es ist diese moralische und christliche Haltung, in der Elser Schlimmes in Kauf nimmt um noch Schlimmeres zu verhindern. Sie macht Georg Elser bis heute zu einer faszinierenden Persönlichkeit des Widerstands. Radikal und konsequent hat er seine Haltung in Handlung umgesetzt – bis heute eine Absage an alles falsche Taktieren, wenn es um Frieden und Freiheit geht:

 

Elser: „Man kann nicht warten, bis es zu spät ist. Es muss sein.“

 

 

Musik: Marlene Dietrich, Sag mir, wo die Blumen sind (Marlene Dietrich – Die großen Erfolge)

26.03.2015
Pfarrer Christian Engels