An einem Tisch!

Am Sonntagmorgen

Gemeinfrei via unsplash / Thays Orrico

An einem Tisch!
Von der Gemeinschaft im Glauben
19.03.2023 - 08:35
07.01.2023
Christina-Maria Bammel

von Pröpstin Christina-Maria Bammel

Über die Sendung:

50 Jahre Leunberger Konkordie, 50 Jahre evangelische Abendmahlsgemeinschaft!
Pröpstin Christina-Maria Bammel erzählt die Geschichte hinter dieser Einigung: warum welche Kirchen miteinander Abendmahl feiern und andere nicht und warum es auch innerevangelische Ökumene braucht. Für alle, die Leuenberg mit dem zweiten Vatikanischen Konzile vergleichen, aber ebenso für alle, die von der "Leuenberger Konkordie" noch nie gehört haben.

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Kennengelernt haben sie sich in einem internationalen Austauschprogramm.  Lea, die deutsche und Marco, der spanische Student. Beide hatten sich in Amsterdam an der Universität getroffen. Aus Freundschaft wurde Liebe. Lea und Marco wollen heiraten. Aus unterschiedlichen Nationen kommen die Herkunftsfamilien. Aus unterschiedlichen Konfessionen! Marco: katholisch, Lea: evangelisch, reformiert. Kein Thema! Haben die beiden gesagt.  Aber als sie ihre Trauung vorbereiten, stoßen sie auf die Grenzen ihrer Konfessionen: Ein gemeinsames Abendmahl mit allen Familienmitgliedern, wie soll das gehen? 

Lädt nicht Jesus Christus selbst an seinen Tisch? Fragt sich das Paar. Gemeinsam im Glauben leben, sich zusammen darin bergen. Den beiden Europäer:innen ist das wichtig für eine gemeinsame Lebensplanung. Sie fragen nach dem Verbindenden der unterschiedlichen kirchlichen Traditionen. Und da ist zwischen der römisch-katholischen und den evangelischen Kirchen immer noch Trennendes zu überwinden.
Aber etwas ist jedenfalls erreicht: Die verschiedenen Kirchen der Reformation: Reformierte, Lutheraner und all die andern – sie streiten nicht mehr um ihre theologischen Unterschiede. Zwischen Island und Italien, Dänemark und Deutschland oder Lettland und Luxemburg, Polen und Portugal haben sich die reformatorischen Kirchen miteinander verbunden.  Sie bilden eine Gemeinschaft, die der Evangelischen Kirchen in Europa. Fast 100 Kirchen sind nun seit langem gewissermaßen an einem Tisch – im Alltag, im Gespräch und im gemeinsamen Feiern des Abendmahls. Sie alle verbindet ein Band der Einheit. Und dieses Band geht durch die verschiedenen Gemeinden Europas – und darüber hinaus.
Das stiftet Hoffnung - für Europa, die kommenden Generationen und die Zukunft des evangelischen Glaubens.

Der ist in Europa alles andere als selbstverständlich. Christ:innen aus evangelischen Kirchen spüren Gegenwind, wann immer sie sich positionieren.  Zwar wird allgemein geschätzt, wo sich Kirche und Diakonie engagieren: in der Arbeit mit Geflüchteten, mit Wohnungslosen, Familien, Älteren und hoch Betagten. Aber da ist auch viel Skepsis erkennbar: Ob der Geist des Protestantismus nicht doch rückwärtsgewandt sei? Oder: der Protestantismus sei längst vom Zeitgeist überwältigt. Er wolle sich bloß politisch anbiedern, wenn er sich etwa zu bioethischen Fragen oder zu Friedensfragen äußert. Dann gibt es da noch die distanzierte Gleichgültigkeit gegenüber dem christlichen Glauben. Und es gibt die Haltung: Aus der befreienden Kraft des Glaubens an Jesus Christus zu leben, heißt nicht, zwingend einer Kirche fest verbunden zu sein. Darum hat es der evangelische Glaube nicht so leicht in Europa. 

Dennoch: Das Band des Glaubens und der Kirchengemeinschaft in Europa ist da. Dessen Anfänge wurden in der Schweiz geknüpft. Vor 50 Jahren: Auf dem Leuenberg bei Basel zwischen grünen Hügeln. Das dortige Tagungshaus kann man schon von weitem sehen. Generationen gingen da ein und aus, haben gemeinsam studiert und geforscht. Im März 1973 kamen hier Delegierte zusammen aus über 40 Kirchen aus fast aus allen Richtungen Europas. Einsichten und Lehren, die vorher die Kirchen getrennt hatten, sie sollten endlich beendet sein. Schluss mit der Kirchenspaltung, den gegenseitigen Verwerfungen und Verurteilungen unter den reformierten und den lutherischen Kirchen! Schluss damit, sich gegenseitig die Sakramente madig zu machen. Ein theologischer Einigungstext wird unterzeichnet, die Leuenberger Konkordie. Die Verständigung beginnt mit klaren Gemeinsamkeiten:
Die Kirche ist allein auf Christus begründet.  Was durch Jesus Christus an Gutem in der Welt und für jeden einzelnen Menschen geschieht, das ist die Grundlage und der Maßstab aller Verkündigung der Kirche. Für die Einheit der Kirche ist es ausreichend in den Dingen des Evangeliums und in der Einsetzung der Sakramente übereinzustimmen. Das Abendmahl und die Taufe – allein darauf kommt es an – geschieht in der Gegenwart Christi und im Heiligen Geist.

Knapp konzentriert sich die Konkordie auf das Wesentliche in schnörkelloser Sprache. Beschrieben wird, woher man gemeinsam kommt: aus dem Aufbruch der Reformation, der es ja einmal um ein neues Verstehen des Evangeliums ging. Das ist gemeinsam möglich.  Martin Laube, Professor für Systematische Theologie in Göttingen, sagt das so:

Der Protestantismus hat in seiner Theologie dies grandiose Erbe der Selbstunterscheidung der Kirche von ihrem Grund. Die Anerkennung, dass wir nur menschlich von dem Göttlichen reden. Das haben wir uns in einer Weise ins Stammbuch geschrieben. Auf dieser Grundlage war dann auch Leuenberg möglich.

Schluss also mit den Vorwürfen, die Gegenwart Christi am Tisch des Abendmahls sei falsch oder unzureichend verstanden. Der da selbst zum Abendmahl einlädt, der ist nicht teilbar. Auch der Protestantismus soll das nicht sein. Und das 1973 gesagt - in einer Zeit, als Europa durch einen eisernen Vorhang getrennt und das Leben der Kirchen in der Diaspora beschwert war. Das gemeinsame Verstehen und Feiern der Gegenwart Christi in den Sakramenten, die Vergewisserung eines gemeinsamen Grundes! Was für ein Schritt! Euphorisch war man allerdings kaum am 16. März 1973. Aber doch erleichtert. Mit diesem gemeinsamen Wort in der Leuenberger Konkordie wurde es Frühling für die spätere Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa, kurz GEKE.

Da war viel Selbstüberwindung für die kleinen reformatorischen Kirchen, vor allem die einst Verfolgten. Die erlittene Minderheitensituation war in ihrem Gedächtnis und in ihrem Selbstverständnis.  Besonders für die Böhmischen Brüder. Sie hatten Verfolgung und Verdrängung kennengelernt. Nun also: Erinnerungen heilen, sich anerkennen und sich gegenseitig helfen. Zwischen den reformierten, lutherischen, unierten und vorreformatorischen Kirchen der Waldenser wie auch den Böhmischen Brüdern. Die 49 Abschnitte der Konkordie von Leuenberg waren ein Anfang, ein zukunftsoffener Doppelpunkt. Eine evangelische Vision. Bischof Christian Stäblein, aus der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz:

Stäblein: Die Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft ist – was ich überblicke – wirklich hervorragend gelungen. Ich würde mir natürlich im Blick auf die Kirchenbünde schon auch wünschen, dass wir noch ein ganzes Stück weiter vorankommen. Wir haben die GEKE, also die Gemeinschaft Europäischer Kirchen. Aber wir haben in Deutschland natürlich immer noch unsere konfessionellen Bünde. Da würde ich mir wünschen, dass der Geist von Leuenberg uns doch weiter trägt. Und da hinken wir dann manchmal doch noch konfessionell ziemlich hinterher.

Manche meinen, der frühlingshafte Doppelpunkt vom Leuenberg wäre so kraftvoll wie das zweite Vatikanische Konzil gewesen, nur leiser aufgetreten. Hätte dafür aber seine Langzeitwirkung. Das klingt bescheiden.

Das ist ein Stichwort, das auch Wilhelm Hüffmeier zur Konkordie einfällt. Der Theologe war lange Jahre leitender Sekretär der Gemeinschaft der Europäischen Kirchen. Er hat daran gearbeitet, die Gemeinschaft im Geiste von Leuenberg zu vertiefen und auszubauen. Noch ein anderes Wort liegt ihm auf der Zunge zur Europagemeinschaft der Kirchen: Dienst an der Welt. Er habe sich dafür verantwortlich gefühlt, dass die Glaubenseinsichten zum handfesten Einsatz füreinander werden.
Hüffmeier: Und der Dienst soll ein Dienst aneinander sein und zwar sowohl indem wir uns durch theologische Erkenntnisse auch in ethischen Fragen gegenseitig helfen als auch, dass wir uns finanziell helfen in der Arbeit, die die kleinen Kirchen in ihren Gesellschaften tun müssen. Und das hat sich, finde ich, bis heute zunehmend bewährt. Besonders möchte ich dabei unterstreichen, dass die vielen kleinen evangelischen Kirchen, in Rumänien, in der Slowakei, Tschechien, in den baltischen Ländern jetzt an erster Stelle mitwirkten Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen und dass wir in Deutschland dabei sehr helfen konnten, dass sie das auch finanziell einigermaßen wuppen konnte. [..] Freiheitserfahrung verbinde ich, gegenseitige Anerkennung und gegenseitige Hilfe, mit der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa.

Das hat Konsequenzen. Auch und gerade seit dem Angriff Putins auf die Ukraine.

Hüffmeier: Es gibt in der Ukraine eine reformierte Kirche, in der Karpato-Ukraine, die ganz stark einerseits von der ukrainischen reformierten Kirche unterstützt wird aber eben auch von der Gemeinschaft der evangelischen Kirchen in Europa, sowohl vor dem Krieg als auch jetzt während des Krieges… zum Beispiel mit Heizgeräten und Saatgut.

Mal ehrlich: Interessieren die Textbausteine der Leuenberger Konkordie von 1973 noch heute junge Christ:innen? Martin Laube, Theologieprofessor in Göttingen, wirbt dafür, den Blick zu weiten.
Laube: Der Skandal des Christentums liegt darin, dass einige Kirchen meinen, die Wahrheit in Besitz genommen zu haben, um anderen das Christsein absprechen zu können. Es ist doch ein Zeichen von Lebendigkeit, wenn Vielfalt da ist. Wenn in 2000 Jahren Christentumsgeschichte nur eine Kirche herausgekommen wäre, was wäre das für ein langweiliger Verein. Das heißt, es ist ein Zeichen von Vitalität und Lebendigkeit, dass das Christentum es in unterschiedlichen Strömungen zu uns geschafft hat. Und lebt. Im Protestantismus noch einmal insbesondere, dass er eben keine monolithische Lehrbuchkonfession ist, sondern in der Dualität, in der lebendigen Vielfalt von lutherisch und reformiert lebt, wenn man das mal auf die beiden verengt. 

Also nicht die konfessionellen Verschiedenheiten glattbügeln. Denn:     
Laube: Der eine große Ertrag der Leuenberger Konkordie ist die Vermittlung von Einheit und Pluralität, so dass die Einheit die Pluralität nicht schleifen soll, sondern gerade zur Förderung, zur Gestaltung der Verschiedenheit da ist. Es ist ein erklärtes Ziel, dass diese Leuenberger Konkordie ein Bekenntnis verschiedener Kirchen ist, die als solche auch bekenntnisverschiedene Kirchen bleiben. Und die gemeinsame Weiterarbeit soll dazu dienen, nicht dann doch noch den gemeinsamen Bekenntniskonsens zu finden, sondern gerade das anzuerkennen, was das wirklich Unique des Protestantischen ist: dass wir immer schon in einer Vielfalt als Protestantismus gelebt haben und dass das die lebendige Unruhequelle unseres Denkens ist. Und dass wir selber geistig, spirituell, geistlich verarmen, wenn wir uns das wegnehmen lassen.

Wo diese evangelische Energie vom Leuenberg ist, da bleibt Kritik nicht aus. Es bleiben Streitpunkte in Sachen Vielfalt der Lebensformen oder sogar wieder zur Frauenordination mit der Kirche in Lettland etwa. Aber gemeinsam protestantisch reden in Europa, das kann Schule machen. Bischof Stäblein:
Man kann vorwärts kommen und hier ist eine Kirchengemeinschaft hergestellt worden nach 450 Jahren, die ja inzwischen so tragfähig ist, dass wir wiederum umgekehrt sagen können – ich auch – ich brauche gar nicht jeden Tag die Leuenberger Konkordie, wir leben das, was da steht. Und das ist, finde ich, ist etwas – ganz im Ernst – was ich einen ganz starken Mutmacher für die Entwicklung kirchlicher Prozesse empfinde. Das wirkt jetzt einfach. Das wird gelebt und von da gucken wir weiter in die Zukunft.

Der Leuenberger Gemeinschaftsgeist verinnerlicht, dass ein willkommen heißendes Europa nicht aus Abgrenzung und gegenseitiger Verdächtigung entsteht. Der Kontinent hat mehr als nur sicherheits- und wirtschaftspolitische Interessen. Er hat Hoffnung. Noch so ein Europastichwort 50 Jahre nach Leuenberg. Die Aufgaben der Kirchen und Menschen in Europa sind jetzt andere: die Klimakatastrophe abwenden, Antworten finden auf die Migrationsbewegungen, für den Frieden sorgen. Christ:innen können sich nicht zurückziehen auf eine innere Welt.

Das sieht das junge Paar, Lea und Marco, evangelisch und katholisch, auch so. Auch wenn für ihre beiden Kirchen eine Verständigung und Gemeinschaft wie zwischen den Kirchen der Leuenberger Gemeinschaft noch weit entfernt scheint. Doch die Gemeinschaft der reformatorischen Kirchen macht Mut: gegenseitige Anerkennung ist möglich. Damit für alle gemeinsam Platz ist am Tisch des Herrn. Denn dieser Tisch hat ein gemeinsames Fundament – es ist derselbe Christus, der alle einlädt.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

Holger Bentele, Klavierimprovisation
(Die Klavierimprovisationen sind eine gemafreie Eigenaufnahme. Die Rechte liegen vor.)

07.01.2023
Christina-Maria Bammel