Epiphanias - die Erfindung der religiösen Toleranz

Am Sonntagmorgen - Epiphanias - die Erfindung der religiösen Toleranz

Gemeinfrei via Pixabay / Gert Altmann

Epiphanias - die Erfindung der religiösen Toleranz
Wenn Ayatollahs und Imame zur Krippe kommen
07.01.2024 - 08:35
28.12.2023
Pastor Matthias Viertel

von Pastor Matthias Viertel

Über die Sendung:

Gold, Weihrauch, Myrrhe – die Gaben der Weisen aus dem Morgenland deutet Matthias Viertel als Würde, Respekt und Zuwendung. Er findet: Diese drei sollte jede Religion als Geschenk im Gepäck haben

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An diesem Wochenende ziehen wieder Kinder und Jugendliche singend von Haus zu Haus; sie sind wie orientalische Könige gekleidet, tragen vor sich einen großen goldenen Stern und schreiben mit Kreide einen Segen über die Haustüren. In Süddeutschland ist diese Sitte besonders verbreitet, aber auch im Norden zeigen sie sich, und sogar im Bundeskanzleramt werden sie empfangen.

Die Rede ist von den Sternsingern, die jedes Jahr in den Tagen um den 6. Januar losziehen. Es sind nicht wenige, rund 300.000 Kinder allein in Deutschland, große und kleine. Immerhin handelt es sich bei den Sternsingern weltweit um die größte Solidaritätsaktion, bei der Kinder für Kinder eintreten, Geld sammeln und auf diese Weise Hilfsprojekte für ihre Altersgenossen unterstützen. Auch in diesem Jahr wird wieder für Kinder in Not gesammelt. Im Herbst hat die Sternsingeraktion bereits eine Nothilfe für Kinder im Gazastreifen sowie für Projekte in Israel zur Verfügung gestellt. Spendenzweck 2024 ist der Schutz des Regenwaldes in Amazonien. 

Warum geschieht das gerade an diesem Wochenende? Und was hat das alles mit den Königen auf sich, die den Hintergrund für diese große Solidaritätsaktion liefern und dem Unternehmen eine weihnachtliche Stimmung verleihen?

 

Dieses Wochenende ist schon ein eigenartiges, denn da treffen gleich mehrere Traditionen aufeinander: Da ist zum einen das Fest der Heiligen Drei Könige, in drei Bundesländern ist der 6. Januar sogar ein gesetzlicher Feiertag, und zwar in Bayern, Baden-Württemberg und in Sachsen-Anhalt. Dreikönigstag ist eine Bezeichnung, eine andere ist Epiphanias. In der alten Kirche wurde am 6. Januar das Fest Epiphanias gefeiert. Das war, noch bevor sich das Weihnachtsfest etabliert konnte. Epiphanie bedeutet Erscheinung, aber damit war nicht etwa die Erscheinung der Heiligen Könige gemeint, gefeiert wurde vielmehr die Erscheinung Gottes in der Welt. Und da stand am Anfang weniger die Geburt mit Krippe, Stall und Hirten im Mittelpunkt, sondern vielmehr die Taufe Jesu.

Und zu diesen zwei Bedeutungen kommt noch eine dritte hinzu, denn an diesem Wochenende feiern orthodoxe Kirchen auch noch ihr Weihnachtsfest, ganz unabhängig von Königen, einfach weil sie einen anderen Kalender benutzen und die Feiertage deshalb anders datieren.

So viele unterschiedliche Weihnachtstraditionen ausgerechnet an dem Wochenende, an dem viele schon mit Weihnachten abgeschlossen haben. Die meisten Weihnachtsmärkte sind wieder verschwunden, die meisten Krippen abgebaut, erste Tannenbäume finden sich am Straßenrand, das Leben läuft längst wieder im alten Trott weiter. Und gerade da kehrt Weihnachten noch einmal mit starken Bildern zurück; so als wolle es mir sagen: Pack Weihnachten nicht zu schnell weg!

Vergiss nicht, dass die Botschaft von der Geburt Gottes in dem Kind in der Krippe das Leben verändert. Jetzt geht es erst richtig los, jetzt beginnt erst der lange Weg.

Die Heiligen drei Königen, die sich aus weiter Ferne auf den Weg zu dem neugeborenen Kind in Bethlehem gemacht haben, sind nicht allein katholisches Brauchtum. Die dazugehörenden Umzüge der Kinder sind in der evangelischen Kirche zwar nicht verbreitet. Und doch: Martin Luther sprach ebenfalls vom „Tag der Heiligen drei Könige“ und predigte über sie. Allerdings wählte er für seine Übersetzung des Evangeliums lieber den Ausdruck der „Weisen aus dem Morgenland“, weil er die Textquelle in der Bibel genauer übersetzen wollte. Auf jeden Fall erschien ihm die Geschichte von den Orientalen, die dem Stern nach Bethlehem folgten, wertvoll und auch die Geschenke, die sie mitbrachten, waren ihm wichtig:

 

 „So findet man nicht allein den Weihrauch, das ist der Glaube, welchem man glaubt, dass Gutes und Böses von Gott gekommen sei und noch komme und kommen werde; es findet sich auch nicht allein das Gold, das ist die Hoffnung, in welcher man erträgt, und hofft alles Gute und auch das Böse; sondern es findet sich auch die Myrrhe, das ist die Liebe, welche auch mit Freuden dasjenige begehrt, was die Hoffnung in sich hält.“

 

Glaube, Hoffnung, Liebe. So deutet Luther die Geschenke Weihrauch, Gold und Myrrhe. Die Weisen aus dem Morgenland sprengen die Grenze der Konfessionen. Sie hatten eine lange Reise hinter sich, kamen wohl mit einer Karawane aus anderen Kulturen mit anderen Sprachen und anderen Religionen. Über ihre Beweggründe wissen wir eigentlich nichts. Nur dass sie den Zeichen des Himmels folgten, einen besonderen Stern gesehen haben. Dann aber kommen sie an und bringen das, was in der Armseligkeit des Stalls am wenigsten zu erwarten war, nämlich Würde, Respekt und Zuwendung.

 

Wer waren nun diese Weisen aus dem Morgenland, die noch immer als Heilige drei Könige auftauchen? Luthers Überlegung, nicht von Königen, sondern von weisen Männern zu sprechen, war begründet, aber wiederum auch ungenau. Von „Magiern aus dem Osten“ ist in der Bibel die Rede, der Reformator hätte das so übersetzen können oder als Sterndeuter. Aber das erschien ihm zu esoterisch. Auch heute würde man bei Magiern in erster Linie an Horoskope und Hellseher denken. Genau das wollte Luther aber verhindern. Möglicherweise wusste er aber auch noch nicht, dass es sich bei dem Ausdruck „Magier“ um einen Sammelbegriff für Priester im alten Orient handelte.

Genau die sind aber gemeint. Und inzwischen konnten Archäologen sogar sakrale Zentren ausgraben, die wie gewaltige Sternwarten wirken, mit einzelnen Tempeln für die Planten und dem Mond in der Mitte. Schon in der mesopotamischen Religion im 3. Jahrtausend vor Christus entwickelte sich eine ausgefeilte Sternenkunde. Was die Menschen damals umtrieb, war ein Problem, das noch immer nicht gelöst ist: Sie wussten nicht, was die Zukunft ihnen bringen würde. Um in Erfahrung zu bringen, was die Götter mit ihnen vorhatten, gab es zwei Strategien. Die erste Strategie war es, den Göttern Geschenke zu machen beziehungsweise Opfer zu bringen.

 

Die zweite Strategie war die Beobachtung der Natur, und deshalb untersuchte man den Lauf der Sterne am Himmel. Beides ist von Anfang an miteinander verbunden: Die Anbetung und die Sternenkunde, denn diejenigen, die eine Absicht der Götter aus den Sternen lesen wollten, hatten zuvor deren Lauf gründlich studiert.

Auf den Reformator Martin Luther wirkte die Astrologie suspekt, er konnte sie nicht einordnen. Mich persönlich fasziniert heute dieser Versuch der uralten Kulturvölker, mit Gott Kontakt aufzunehmen. Die Sternenkunde mutet mir wie ein Dialog an, den die Menschen damals mit ihrem Gott geführt haben. Die Natur beobachten, in den Himmel schauen, nach Zeichen suchen, die auf einen guten Weg führen, das alles finde ich sympathisch. Und noch etwas fällt mir auf: Alte, in Stein gemeißelte Abbildungen aus Mesopotamien zeigen, wie die Priester-Astrologen niederknien. Sie knien nieder, weil sie mit dem Herzen dabei sind. Diese Geste, mit der wir noch immer Andacht und Respekt ausdrücken, stammt von ihnen, so alt ist sie schon.

Für mich ist das eine schöne Vorstellung: Ich male mir aus, wie die Weisen aus dem Orient wieder zur Krippe kommen - auch heute nach 2000 Jahren. Und dann sehe ich das Bild vor mir, wie sie in festlichen Kleidern vor dem neugeborenen Kind stehen, das so schutzbedürftig in der Krippe liegt: Die Imame und Hodschas, die Scheichs, die Mullahs und Ayatollahs. Sie alle kommen, um das neue Leben anzubeten. Sie knien nieder, so wie es ihre Vorläufer auch schon getan haben. Sie tun das nicht, weil sie ihren eigenen Glauben aufgeben wollen oder gar leugnen. Nein, sie knien nieder in Ehrfurcht vor dem Leben. Und weil sie dem Unbekannten, dem Fremden ihren Respekt erweisen wollen.

Und auch diese neueren Gesandten aus dem Morgenland haben Geschenke in ihrem Gepäck. Im Evangelium ist von Gold, Weihrauch und Myrrhe die Rede. Das sind wunderbare Gaben, wenn man der Symbolik folgt. Es handelt sich um das Heilige, das Heilende und das Helfende. Gold ist wie Geld, in der Not wird es dringend gebraucht, um wenigstens das Notdürftige zu liefern. Myrrhe ist Medizin, die Kranke gesund werden lässt, und Weihrauch verbreitet den Duft des Heiligen. Gerade diese Aura des Heiligen ist wichtig, weil sie den Menschen in der Not ihre Würde wiedergibt.

Nach ihrem Besuch machen sie sich wieder auf den Rückweg, sie gehen wieder nach Hause. Das lässt sich so deuten: Sie bleiben bei ihrem Glauben, sie halten auch fortan an den eigenen Traditionen ihrer Heimat fest. Diese Repräsentanten des Orients gehen auf ihrem Weg nicht nur über die Grenzen ihres Reichs hinaus, sie überschreiten auch die Grenzen ihres Glaubens. Deshalb sind sie für mich Pioniere der religiösen Toleranz. Sie sind die ersten, die sich dem fremden Kind, dem neugeborenen Hoffnungsträger zuwenden. Und der Stern, dem sie folgten, ist für mich der Stern der Toleranz. Diese Heiligen aus dem Morgenland, ganz egal ob es sich dabei um Könige handelt oder um Priester, Sterndeuter oder Magier, auch egal, ob sie drei waren oder mehr - sie sind für mich die Garanten der religiösen Toleranz.

Am Verhalten der Weisen aus dem Morgenland wird fortan jede Religion und jeder Religionsvertreter zu messen sein: Daran, ob sie dem Leben eine Chance geben, ob sie sich den Menschen in ihrem Elend zuwenden; ob sie sich gegen Gewalt aussprechen und mit denen zusammentun, die den Schutzbedürftigen Zuwendung schenken.

Die Weisen aus dem Morgenland sind den Zeichen des Himmels gefolgt und haben die Kriterien für eine Frömmigkeit gegeben, die von Herzen kommt. So kann ich nun Weizen von Spreu trennen. Ich kann den frommen Glauben vom fanatischen Fundamentalismus unterscheiden. Denn ihre Geschichte im Evangelium geht ja weiter, dort erfahren wir: Auf dem Rückweg vermieden sie es, noch einmal bei König Herodes vorbeizuschauen, der in dem neugeborenen Kind Konkurrenz fürchtete und es beseitigen wollte. Sie mieden ihn, weil sie der Gewalt keine Chance geben wollten, weil sie mit dem Morden im Namen der Religion nichts zu tun haben wollten.

Deshalb mag ich diese Weisen aus dem Morgenland; ich sehne mich nach Menschen, die das zarte Leben anbeten, die den Schwachen Würde verleihen und die anderen Religionen Respekt erweisen. Mit ihnen hätte ich Lust, nach Bethlehem zu ziehen.

Es gilt das gesprochene Wort.

Musik dieser Sendung:

  1. Antonio Vivaldi, Nisi Dominus
  2. Gaudete Christus est natus
  3. Mercan Dede: Souffle
  4. J. Ph. Förtsch: Kommt, lasst uns nun gehen nach Bethlehem

Literatur dieser Sendung:

  1. Martin Luther: Predigt an Epiphanias 1517. In: Dr. Martin Luthers Sämtliche Schriften. Hg. J. G. Walch, Band 12, S. 1809.
28.12.2023
Pastor Matthias Viertel