SOS für Eva

Gedanken zur Woche

Adam and Eve, illustration to Milton's 'Paradise Lost," pen and brown ink, by the British artist Sir George Hayter. 153 mm x 142 mm. Courtesy of the British Museum, London. 1818 (via wikicommons)

SOS für Eva
Gedanken zur Woche mit Pfarrerin Silke Niemeyer
29.11.2019 - 06:35
18.07.2019
Silke Niemeyer
Über die Sendung

Die Schöpfungserzählung als Dünger für männliche Dominanz? Nein – sondern eine Utopie davon, wie es um Gottes Willen sein soll. Und noch werden muss in einer Gesellschaft, die häusliche Gewalt nicht mehr zulässt.

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Alles ist generalstabsmäßig geplant. Sie hat am Vorabend heimlich die Koffer gepackt, als er, verlässlich wie immer, betrunken war. Ich fahre um 10 Uhr vor, da ist er aus dem Haus. Beim Klingeln steht sie schon in der Tür. Wir bugsieren das Gepäck durchs Treppenhaus, laden es ins Auto, dann zur Schule, den Sohn abholen. Der ist nicht eingeweiht, aber die Schulleitung. Der Junge weiß nicht recht, wie ihm geschieht, aber er freut sich, dass er unverhofft schulfrei bekommt. Wir fahren dorthin, wo wir erwartet werden, zum Frauenhaus. Diesmal will Eva wirklich dort bleiben und nicht wieder zurück, auf keinen Fall. Auch nicht, wenn ihr Zwölfjähriger wieder heimlich Kontakt mit seinem Vater aufnimmt, auch nicht, wenn er wieder anfängt ins Bett zu machen, auch nicht, wenn ihre Verwandtschaft ihr wieder die Hölle heiß macht.

 

Diese Woche ist viel über Eva berichtet und diskutiert worden. Über Frauen, die Gewalt in ihrer Familie erleiden. Jede Stunde wird in Deutschland eine Frau gefährlich von ihrem Partner verletzt. Jeden dritten Tag stirbt eine Frau daran. Das zeigen Auswertungen des Bundeskriminalamts. (1)

 

„Nach deinem Mann hast du Verlangen, und er wird über dich herrschen.“ (Genesis 3,16) Mit diesem Satz entlässt Gott Eva aus dem Paradies. Das klingt wie ein Fluch, ist es aber nicht. Es ist die nüchterne Beschreibung, wie es ihr ergeht in der realen Welt. Die Geschichte von Adam und Eva beschreibt die Wirklichkeit nicht nur. Sie ist selbst wirkmächtig geworden für das Verhältnis von Frauen und Männern, und zwar in ihrer frauenfeindlich entstellten Übersetzung. Die lieferte über Jahrhunderte den Dünger für männliche Dominanz. Adam und Eva sind benutzt worden, um den Besitzanspruch und die Gewalt des Mannes über die Frau zu heiligen. Aber das ist falsch, grundfalsch.

 

Die Geschichte geht so:

Gott schuf Adam und setzte ihn in den Garten Eden. Adam ist kein Vorname. Adam ist das hebräische Wort für Mensch. Dieser frisch gebackene Mensch ist zuerst weder Mann noch Frau. Das ist ein Manko, bedauert der Schöpfer alsbald und stellt fest: Es ist nicht gut, dass sein Menschenwesen allein ist. Die asexuelle Single-Existenz macht unglücklich. Als Adam schläft, macht Gott darum aus der einen Seite seines Menschenprototyps ein passendes hilfreiches Gegenüber. Erst in diesem Moment wird der Mensch zu Mann und Frau. Männliche Übersetzungskunst hat hier anstelle der „Seite“ Adams die berühmte „Rippe“ in den Text geschmuggelt. Und wo im Urtext von „Hilfe“ die Rede ist, übersetzte man „Gehilfin“. Da war sie aus männlicher Phantasie geboren: die Frau als minderwertige willige Dienerin des Mannes.

Die wissenschaftliche Textauslegung hat nach und nach den sexistischen Dreck von diesem Menschheitsmythos gekratzt. Freigelegt hat sie die wunderbar emanzipatorischen Gedanken dieser Jahrtausende alten Literatur. Sie ist eine Utopie, eine Utopie davon, wie es um Gottes Willen sein soll: Mann und Frau sollen einander ebenbürtiges Gegenüber sein, von gleicher Würde, von gleichem Recht.

 

Das hat in unserer Verfassung seinen Ort gefunden, ist aber in der Realität weiter utopisch. Das haben die großen Proteste dieser Woche bewiesen. Heute soll ein Gesetz für ein soziales Entschädigungsrecht den Bundesrat passieren. Es soll Gewaltopfern schneller und zielgerichteter helfen. Das ist gut. Doch es braucht den öffentlichen Druck, dass Frauen wie die Eva, von der ich am Anfang erzählte, nicht leer ausgehen. Das wäre der Fall, wenn Eva erst dann Hilfe bekäme, wenn sie ihren Peiniger auch anzeigt und konsequent verlässt. Zügige Hilfe braucht auch ihr Sohn, damit er einen anderen Weg gehen kann als sein Vater.

 

Alle Männer seien potenzielle Gewalttäter, heißt es manchmal. Das ist nicht feministisch, sondern falsch und dumm. Männer sind nicht nur Täter, sondern auch Opfer von Gewalt, und oft beides zugleich. Deshalb sollen sich die Frauen mal nicht so anstellen, hört man dann wieder. Das ist ebenfalls falsch und dumm. Klug ist es, mit den Instrumentalisierungen aufzuhören und ein intelligentes Recht und intelligente Hilfen zu schaffen, um die Gewaltkreisläufe zu stoppen.

 

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(1) https://www.welt.de/politik/deutschland/article203791674/BKA-Statistik-Immer-mehr-Frauen-Opfer-von-haeuslicher-Gewalt.html

 

Es gilt das gesprochene Wort.

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18.07.2019
Silke Niemeyer