Bonhoeffers Radiovortrag. „Führer und Verführer“

Morgenandacht

Gemeinfrei via Unsplash/ Jonathan Velasquez

Bonhoeffers Radiovortrag. „Führer und Verführer“
Morgenandacht von Pastor Oliver Vorwald
24.10.2023 - 06:35
04.07.2023
Oliver Vorwald
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Acht Seiten Schreibmaschine, etwas vergilbt, Rostflecken einer Büroklammer am linken Rand. „Wandlungen des Führerbegriffs in der jungen Generation“ steht als Titel oben auf Seite 1. Das Manuskript ist ein kirchliches Zeitdokument aus 100 Jahren Radiogeschichte in Deutschland. Autor ist ein junger Theologe, der damals nur wenigen ein Begriff ist: Dietrich Bonhoeffer. Am 1. Februar 1933 – zwei Tage nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler – spricht der damals 26-Jährige in der Berliner Funkstunde. Sein Beitrag ist theologische Positionsbestimmung, Glaubenszeugnis, bewundernswert mutig. Und noch etwas ist bemerkenswert an diesem Rundfunkvortrag: Dietrich Bonhoeffer kann nicht zu Ende sprechen. Er wird abgeschaltet.

Ein Mitschnitt, eine Aufzeichnung existiert nicht. Aber im ARD-Doku-Drama „Mit Gott gegen Hitler“ wird dieser Moment Radiogeschichte nachgestellt. Der Schauspieler Matthias Koeberlin verkörpert den jungen Dietrich Bonhoeffer. [Ein halbdunkles Studio, auf dem Tisch das Mikrofon, dann die entscheidenden Sätze:]

Einspieler aus ARD-Doku – „Jeder Führer wird sich der Begrenzung seiner Autorität bewusst sein müssen. Lässt er sich von dem Geführten dazu hinreißen, deren Idol darstellen zu wollen, wird aus dem Führer der Verführer."

Ist Dietrich Bonhoeffers Rundfunkvortrag am 1. Februar 1933 aus politischen Gründen abgeschaltet worden? Zu viel Kritik am neuen Regime. Dem Nationalsozialismus steht Dietrich Bonhoeffer tatsächlich schon damals ablehnend gegenüber – früher als viele andere. Er sieht das Teuflische in der NS-Ideologie, sagt das auch. Der 26-Jährige ist zur Zeit des Vortrags bereits Doktor der Theologie, dazu habilitiert, erfüllt also die Voraussetzung für eine Professur. Aber noch viel wichtiger: Sein wacher Geist, sein weites Herz. Da hat das Jahr, das Bonhoeffer in New York verbracht hat, sicherlich eine Rolle gespielt. Er besucht die schwarzen Gottesdienste in Harlem, ist beeindruckt von der Wohlfahrtshilfe des Social Gospel, und erkennt schon damals: Kirche ist dann Kirche, wenn sie für andere eintritt. Für die Armen, die Schwachen, die keine Stimme haben. 1933 arbeitet Dietrich Bonhoeffer dann als Studentenpfarrer an der Technischen Hochschule Grunewald. Aber er ist damals noch ein Unbekannter, schlicht ein Pfarrer im brodelnden Berlin. Seine Vorlesungen sind nicht überlaufen. Er beginnt sie mit einem Gebet, was für manche ungewohnt ist. Noch viel ungewohnter erscheint den Studierenden die Überzeugung ihres Dozenten, der sagt, „dass Krieg nicht mehr sein soll, weil er den Blick auf die Offenbarung raubt“.

Einspieler aus ARD-Doku – „Jeder Führer wird sich der Begrenzung seiner Autorität bewusst sein müssen. Lässt er sich von dem Geführten dazu hinreißen, deren Idol darstellen zu wollen, wird aus dem Führer der Verführer."

Der Rundfunk Vortrag von Dietrich Bonhoeffer am 1. Februar 1933 ist ein mutiger evangelischer Beitrag aus 100 Jahren Radiogeschichte. Von den acht Seiten seines Manuskripts hat Dietrich Bonhoeffer sieben in der Berliner Funkstunde verlesen können, dazu die ersten fünf Zeilen der letzten Seite. Er selbst hat vermutet, dass die „Übertragung […] wegen geringer Zeitüberschreitung abgebrochen wurde“.

So schreibt er es Kollegen und Freunden am Tag darauf.  Im selben Monat erscheint sein Beitrag in einer Zeitung – inklusive der Zeilen, die nicht über den Sender gegangen sind. Wobei schon die anderen Seiten von dem durchdrungen sind, was er dann unmissverständlich auf den Punkt bringt. Jede irdische Autorität muss sich gegenüber einer letzten Autorität verantworten. Dietrich Bonhoeffer denkt an die demokratische Verfassung der Weimarer Republik, aber vor allem an: Gott. Mit seinen damals 26 Jahren zeigt Dietrich Bonhoeffer, was es bedeutet, in der christlich-jüdischen Tradition der ersten Jüngerinnen und Jünger zu stehen. So wie Jesus es aufgetragen hat: „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist von Übel (Mt 5,37).“

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Literaturangaben:

  1.  Film: Mit Gott gegen Hitler. Bonhoeffer und der christliche Widerstand, Deutschland 2020https://programm.ard.de/TV/phoenix/mit-gott-gegen-hitler/eid_287254000860269 https://www.daserste.de/allgemein/sendungen/sendung/mit-gott-gegen-hitler-statements-100.html
  2. „Wandlungen des Führerbegriffs in der jungen Generation“, 1.2.1933, 17:45 Uhr. Lic. Dr. Bonhoeffer, Dietrich. In: Staatsbibliothek zu Berlin
  3. B.Schutte, „Wandlungen des Führerbegriffs in der jungen Generation – Abschaltung aus politischen Gründen oder Zeitgründen?“ Quelle: https://www.weyeriana.de/ibg/artikel/db_108_2015_54-64.pdf
04.07.2023
Oliver Vorwald