Bruttoliebe

Morgenandacht

Gemeinfrei via unsplash/ Debby Hudson

Bruttoliebe
14.02.2022 - 06:35
28.01.2022
Eberhard Hadem
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Paul hat immer zu meckern an seiner Renate. Dann sagt er zum Beispiel Sachen wie: „Ich mag Renate wirklich gern. Aber manchmal macht sie mich wahnsinnig mit ihren Eigenheiten.“ Eigentlich findet er Renate ja wunderbar. Er liebt sie. Aber bei jeder guten Eigenschaft fällt ihm auch etwas ein, was ihn an seiner Frau stört. „Am liebsten“, meint er, „hätte ich sie nur netto! Nach Abzug aller Belastungen. Verstehst du? Nicht brutto, sondern netto.“

So richtig kann ich nicht mit ihm lachen. Aber ich verstehe, was Paul meint. „Du hättest sie gerne wie früher, als du sie kennengelernt hast, als du frisch verliebt warst. Sozusagen zum EK, zum Einkaufspreis“, stelle ich ironisch fest. Dabei finde ich es total daneben, bei Beziehungen die Preise zu vergleichen. Die Liebe ist kein Tauschgeschäft. Und erst recht kein Kaufgeschäft. Der Heilige Valentin würde heute – an seinem Namenstag – aus lauter Wut mit seinen Gebeinen klappern, weil er so einen Blödsinn gar nicht mag. Der Legende nach soll er Soldaten getraut haben, denen das Heiraten verboten war. Da ging es um die Liebe gegen alle Widrigkeiten – und nicht um kleinliche Aufrechnerei.

Aber im Ernst: Ich tue mich auch schwer damit, andere so zu akzeptieren, wie sie sind. Auch in Beziehungen. Auch in meiner Ehe. Mit den liebenswerten Seiten – kein Problem. Aber mit unseren Fehlern – da merke ich schon, dass ich den oder die andere am liebsten nur netto hätte, ohne Belastungen. Obwohl ich weiß, ich selbst bin ja auch beides: Liebenswert und fehlerhaft. „Könnte es sein“, frage ich meinen Freund Paul, „dass Renate – als eure Liebe noch ganz am Anfang war – schon damals wusste, wie kleinlich du sein kannst? Und sie sich trotzdem in dich verliebt hat, dich also schon immer brutto und nicht nur netto liebt?“

Tja, wer eigentlich wessen Glück ist oder wer manchmal die andere oder den anderen unglücklich macht, darüber gibt es in Liebesbeziehungen ziemlich viel Einbildung. Aber das muss ja nicht die einzige Bildung bleiben. Der französische Philosoph Emanuel Levinas versucht es stattdessen mit Herzensbildung. Und die passt am Valentinstag auch viel besser. Levinas erinnert immer wieder daran, dass die Begegnung mit einem anderen Menschen bedeute, von einem Rätsel wachgehalten zu werden. Der oder die Andere als Rätsel meint, den Anderen ganz, also ‚brutto‘ zu erleben, zu entdecken, zu respektieren. Jedes menschliche Ich, sagt Levinas, finde seine eigentliche Würde erst dann, wenn es Verantwortung für den anderen Menschen übernimmt. Das sind Worte mit viel Gewicht.

Die Bibel sagt es kurz und knapp: Du sollst deinen Nächsten lieben. Denn er ist wie du (3. Mose 19,18). Für mich bedeutet das: Ich habe mein Gegenüber immer nur brutto. Im Grunde gilt das für alle Beziehungen. Auch für den Menschen, der mir am allernächsten ist. Den anderen ‚brutto‘ lieben bedeutet, ihn nicht nur zu lieben, weil er dies oder das tut. Sondern weil mein Gegenüber so ist, wie Gott sie geschaffen hat. Mit dem, was liebenswert ist, aber auch mit Fehlern und Ängsten, und all dem, was schiefläuft.

Liebenswert allerdings halte ich für einen schwierigen Begriff. Wer oder was ist wirklich für die Liebe wert genug? Manche warten darauf, dass der Partner oder die Partnerin der Liebe wert genug erscheinen. Oder mühen sich ab, sich ständig möglichst positiv und attraktiv zu präsentieren. Für mich ist die Liebe aber kein Wert, sondern eine Entscheidung: ‚Es kann sein, dass ich dich ab und zu nicht so dolle mag. Aber ich liebe dich brutto.‘ Höhen und Tiefen erlebe ich da. Und ich bin sicher: Das kann auch Paul. Und ich will das auf keinen Fall vergessen, wenn mich mal wieder mein köstliches Lebensrätsel wachhält: meine Frau.

Es gilt das gesprochene Wort.

28.01.2022
Eberhard Hadem