Gottes verlorener Sohn

Morgenandacht

Gemeinfrei via unsplash/ Jhonatan Saavedra Perales

Gottes verlorener Sohn
15.02.2022 - 06:35
28.01.2022
Eberhard Hadem
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Das biblische Gleichnis vom verlorenen Sohn erzählt eine zutiefst menschliche Geschichte: Eine Familie hat zwei Söhne. Der ältere Sohn unterstützt den Vater bei der Arbeit auf dem Hof. Der jüngere Bruder nicht. Er hat keinen Bock mehr auf Zuhause. Er will raus da, sein eigenes Ding machen. Seinen Vater bettelt er an, er möge ihm sein Erbe auszahlen. Der Vater gibt ihm seinen Anteil, die Eltern lassen ihn gehen. Es dauert nicht lang, da hat der Sohn alles Geld verprasst. Seine Freunde lassen ihn im Stich. Kleinlaut geht er zurück nach Hause. Ziemlich überraschend wird der verloren geglaubte Sohn wieder aufgenommen. Sogar mit einem großen Fest, ihm zuliebe. Nur der ältere Bruder ist sauer, der das für ungerecht hält. Und vielleicht neidisch ist, auf so einen großen Liebesbeweis. Obwohl alles, was dem Vater gehört, auch dem älteren Sohn gehört. Zutiefst menschlich, solch eine Geschichte. Und solche Beziehungskrisen in der Familie.

Eine etwas andere Geschichte von der Liebe zu einem Sohn ist diese: Man sagt, dieser Sohn kommt aus Gott. Eines Tages bricht er auf mit seinem Erbe. In ein Land, das von seinem Vater ziemlich weit entfernt ist. Die Leute, die er trifft, nehmen ihn nicht auf. Sie erkennen ihn nicht. Nur wenige sind dabei, als er sein erstes Bett im Stroh in einer Krippe findet. Schon in jungen Jahren ist er in Gefahr und auf der Flucht. Die Fremde und die Einsamkeit lernt er kennen. Doch er erfährt auch Freundschaft, mit einfachen Leuten, Fischer von Beruf. Anfangs begreifen sie wenig von dem, was er erzählt. Von Gott und Liebe. Von Frieden und Gerechtigkeit. Mit freien Händen verteilt er unter die Menschen, was er hat. Er gibt seine Wahrheit, sein Licht – und am Ende sogar sein Leben her. Er hat Zeit für Kinder. Für Kranke und Schwache. Zum Entsetzen der frommen Menschen feiert er gerne, trinkt schon mal einen guten Becher Wein mit. Er ist mit Leuten befreundet, die als moralisch unanständig gelten, mit Zollbeamten, Sexarbeiterinnen, anders Gläubigen und Gottesleugnern. Der Gemeinschaft der Frommen geht er verloren. Sie behaupten, er sei ein Gotteslästerer. Weil er nicht widerspricht, als andere sagen, er – ausgerechnet er – sei der Sohn Gottes und könne Sünden vergeben. Als gäbe er ein Erbe aus, das er unrechtmäßig erworben habe. Dieser Gottessohn verprasst alle Gnade und Barmherzigkeit und bringt so viel wie möglich davon unter die Leute. Er gibt alles her. Und am Ende ist er mutterseelenallein, leidet Schmerz und Angst. Aber: Er nimmt sein Schicksal an. Er ist bereit, den bitteren Kelch zu trinken. Er wird als Verbrecher zur schlimmsten aller Strafen verurteilt. Am Kreuz schreit er zu seinem Vater: Warum hast du mich verlassen? Dann stirbt er. Am dritten Tag steht er auf aus dem Tod. Und fährt auf in den Himmel. Der Vater blickt auf seinen Sohn und sagt: Schnell! Holt das beste Kleid, einen Ring an den Finger. Lasst uns fröhlich feiern. Denn mein Sohn war verloren und ist wiedergefunden worden.

Die Geschichte ist ein Gedankenexperiment über Jesus. Jesus als verlorener Sohn Gottes, der seinen Vater verlässt. Der abstürzt in den Abgründen der Menschen, im Dreck der Menschheit. Gottes verlorener Sohn, der aufersteht, wiedergefunden und angenommen wird. Eine Geschichte über große Freude im Himmel.

Ich glaube, dass alle Menschen aus Gott kommen. Meine Mitmenschen genauso wie ich selbst. Wie der verlorene Sohn auch. Ich kenne Zeiten der inneren und äußeren Entfremdung. Wie der verlorene Sohn. Gott weit weg. Oder ich von ihm. Aber der verlorene Sohn wird wiedergefunden. Und damit kann auch meine Geschichte eine Wende nehmen. Aus der Nähe in die Ferne und wieder zurück. Wie bei Jesus. Trotz und mit allem, was war und ist: Ein Fest und große Freude sind möglich. Obwohl – oder gerade weil ich alles gegeben habe.

Es gilt das gesprochene Wort.

28.01.2022
Eberhard Hadem