Doris und das Corona-Virus

Morgenandacht
Doris und das Corona-Virus
31.03.2020 - 06:35
30.01.2020
Stephan Krebs
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Wochenlang hatte sich Doris auf ihren Urlaub gefreut. Jetzt ist klar: Sie wird ihn nicht antreten können. Sie muss in Quarantäne. Sie war mit jemandem im gleichen Zimmer, bei dem später Corona festgestellt wurde. Sie weiß ja: das Virus ist hochansteckend. Und deshalb muss sie zwei Wochen zuhause bleiben. Der Urlaub – im Eimer. Stattdessen darf sie nicht raus. Tag für Tag hockt sie in ihrer Wohnung. Mehr als genug Zeit zum Grübeln. Dabei fällt ihr allerlei auf.

Doris verfolgt, wie schnell der geregelte Alltag durch eine solche Infektion durcheinandergerät. Von einer Sekunde auf die andere ist alles anders. Das Leben scheint Doris nicht mehr so sicher wie noch vor ein paar Wochen. Sie ahnt, wie sich die Menschen früher gefühlt haben müssen. Im Mittelalter hatten die Menschen noch mit viel mehr Krankheiten und Gefahren zu rechnen. Kein Wunder, dass sie sich an Gott geklammert haben. Das war zwar auch keine Garantie, aber zumindest ein Strohhalm, ein Anknüpfungspunkt für Hoffnung.

Doris nimmt sich vor, aus der Quarantäne eine gute Zeit zu machen. Wie oft hatte sie sich gewünscht, morgens einfach zuhause bleiben zu können, statt zur Arbeit zu fahren. Nun kann sie es. Muss es. Doch schnell merkt sie, wie wichtig es ihr ist, eine Arbeit zu haben, einen Grund zu haben das Haus zu verlassen, Kollegen zu treffen und etwas Sinnvolles zu tun. Sie fühlt sich nicht frei, sondern nutzlos.

Doris vertreibt sich die Zeit mit Computer und Fernsehen. Sie will das Leben spüren. Und merkt, dass ihr etwas fehlt: Nähe - Händeschütteln, jemanden umarmen, küssen, auf die Schulter tippen. Fremd ist ihr die digitale Welt nicht. Aber sie merkt, auf was sie eine Zeitlang verzichten muss.

Aus der fernen, analogen Welt kommen manchmal Boten zu ihr: Freunde und Nachbarn. Sie bringen etwas zu essen, Zahnpasta, Klopapier. Das ist nie ein Problem. Doris ist dankbar für alle, die in der Not ihr gutes Herz zeigen. Es sind etliche. Auch das steckt in den Menschen, denkt sie anerkennend.

Im Alleinsein erlebt Doris auch ihren Körper neu: Haben sich die Viren darin bereits breit gemacht? Aufmerksam wie nie hört sie in sich hinein. Hustet sie öfter? Schmerzen die Gelenke? Noch nie hat sie so in sich hinein gespürt. Oder sich jemals vorher so viele Gedanken über ihren Körper gemacht. Nun erfährt sie den Wert ihres Körpers als tragenden Teil ihres Lebens.

Gleichzeitig ist dieser Körper für andere eine Gefahr. Sie könnte ihn wie eine Waffe gegen andere einsetzen. Wen würde sie gerne anstecken? Diese Frage schießt ihr ab und zu durch den Kopf. Natürlich verscheucht sie sie sofort wieder. Was aber bleibt, ist der Ärger, dass es ausgerechnet sie getroffen hat. Sie fühlt sich vom Schicksal schlecht behandelt. „Gott, warum ich?“ das brummt sie oft in sich hinein. Sie hat Zeit, um darüber nachzudenken. Und gesteht sich ein: „Früher habe ich ja auch nicht gefragt, warum andere krank sind, aber ich nicht…“

Manchmal denkt Doris: „Ich pfeife auf die Quarantäne, auf die Vernunft und die Verantwortung. Ich fahre einfach los. Ich will raus und frei sein!“ Doch sie tut es nicht. Weil sie sich den Menschen verbunden fühlt, die ihr begegnen und die sie anstecken würde: Menschen wie sie. Überhaupt kommen ihr in ihrer häuslichen Einsamkeit die Menschen viel wertvoller vor als sonst. Sie sagt sich: „Jetzt zu Hause zu bleiben ist ein Dienst an diesen Menschen.“ Dieser Satz gefällt ihr gut. Er gibt ihrer misslichen Lage etwas Edles, einen Hauch von Nächstenliebe. „Das würde dem lieben Gott gefallen“, denkt sie.

Nach zwei Wochen darf sie ihre Wohnung wieder verlassen – gesund, die ganze Zeit. Sinnlose Quarantäne? Nicht ganz. Sie genießt es wie nie zuvor: Einkaufen gehen, an die frische Luft, endlich wieder Joggen, Leuten begegnen – wenn auch jetzt in dem für alle gebotenen Abstand. Das erlebt Doris wie neu – und als Geschenk. Die Quarantäne-Zeit bleibt ihr in Erinnerung: als besonders intensive Zeit. Sie ist sich darin ein Stück nähergekommen – und Gott auch.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

30.01.2020
Stephan Krebs