Ein Tanzlied

Morgenandacht

Gemeinfrei via Unsplash/ Andrew Rice

Ein Tanzlied
Morgenandacht von Frank Mühring
18.01.2023 - 06:35
23.12.2022
Frank Mühring
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Die Sendung zum Nachlesen: 

Das älteste Lied der Bibel stammt von einer Frau, von Miriam. Ein spontan komponiertes Tanzlied. Miriam tanzt, weil ihr Volk Israel gerettet ist. Gott wird als Sieger bejubelt. Als der, der das Volk Israel aus dem Sklavenhaus Ägypten in die Freiheit geführt hat. Es heißt im Alten Testament:

Da nahm Miriam, die Prophetin, Aarons Schwester, eine Pauke in die Hand. Und alle Frauen folgten ihr nach mit Pauken im Reigen. Und Miriam sang ihnen vor: „Lasst uns dem Herrn singen, denn er ist hoch erhaben; Ross und Reiter hat er ins Meer gestürzt.“  (2. Mose 15,20-21)

Miriam trägt dieses fröhliche Tanzlied vor. Eine Gruppe von Frauen mit Tamburin begleitet sie mit federndem Schritt. Miriam hat Freudentränen in den Augen. Ein Wunder ist geschehen, die Zeit der Sklaverei in Ägypten ist zu Ende. Ihr Hände und Füße waren so lange Zeit wie gelähmt, aber jetzt schüttelt sie beim Tanzen alle Fesseln ab. Miriams Freude über das Leben in Freiheit muss hervor. Sonst würde sie vor Glück platzen. Die Melodie des Tanzliedes ist nicht überliefert. Aber es war sicher zum Mitmachen geeignet.

Ich stelle mir vor, wie Miriam wild und leidenschaftlich, mit roten Wangen und wehenden Haaren vor einer Volksmenge hin und her springt. Laute Jubelrufe der Israeliten befeuern die gelöste Stimmung! Erst tanzen nur wenige. Dann aber trauen sich hinter ihr immer mehr Frauen, Männer und Kinder mitzumachen. Noch ein wenig benommen von den großen Ereignissen, die sie gerade erlebt haben. Nach und nach lassen sich alle anstecken von der Euphorie des Tanzes. Die Freude über die gelungene Flucht durch das Rote Meer ist groß. Die Ägypter, die sie verfolgten, haben aufgegeben. Im vor ihnen liegenden Land werden sie frei sein. Endlich frei!

Ganz ähnliche Tanzszenen ließen sich im letzten November auf den öffentlichen Plätzen in Cherson beobachten, nachdem die russischen Besatzer abgezogen waren. Die Leute hakten sich spontan unter und drehten sich fröhlich um ein Lagerfeuer. Sie tanzten ausgelassen und genossen diesen historischen Moment der Freiheit. Ein besonderer Augenblick in der Geschichte. Nicht beliebig wiederholbar.

Für Miriam hat Gott ein Wunder getan. Mit Worten kann sie nicht ausdrücken, was sie empfindet. Aber mit ihrem Körper. Mit einem Lied, in das sie all ihre Freude und Emotion hineinsteckt. Die Dankbarkeit gegenüber Gott, dem Befreier Israels, kann Miriam nicht stocksteif auf der Stelle feiern. Tanzen ist nichts Verbotenes. Im Gegenteil. Das älteste Lied der Bibel lädt geradezu zum Mittanzen ein.  

Dem Kirchenvater Aurelius Augustinus wird gern ein Zitat über das Tanzen untergeschoben. Er wusste noch nichts von Standard oder Latein. Augustinus beschreibt darin seine Freude über das Tanzen. Das Zitat geht so:

„Ich lobe den Tanz, denn er befreit den Menschen von der Schwere der Dinge, bindet den Vereinzelten zur Gemeinschaft. Ich lobe den Tanz, der alles fordert und fördert, Gesundheit und klaren Geist und eine beschwingte Seele. O Mensch lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel mit dir nichts anzufangen.“  

Tanzen: das ist Freude, die sich Bahn bricht und Freude, die gefeiert wird. Und zugleich noch so viel mehr. Gesunde Bewegung, die mit anderen zur Gemeinschaft verbindet. Bis tief in die Seele hinein und zugleich bis hinauf in den Himmel. Viel öfter müsste getanzt werden – durchaus den Gewaltigen dieser Welt auf der Nase herum und auch in unseren Kirchen.  

Für mich ist es der Glaube an Gott, der die Verhältnisse zum Tanzen bringt. Der Seele und Welt in Bewegung setzt, Gemeinschaft und Freiheit miteinander verbindet. Schön, wenn das auch in unserer Kirche ab und zu sichtbar wäre: Menschen, die sich freuen und tanzen. Das alte biblische Lied von Miriam jedenfalls lädt dazu ein: „Lasst uns dem Herrn singen, denn er ist hoch und erhaben!“ 

Es gilt das gesprochene Wort.

23.12.2022
Frank Mühring