Morgenandacht
Gemeinfrei via Unsplash/ Aaron Burden
Füreinander beten
Morgenandacht von Pfarrer Jost Mazuch
30.09.2023 04:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

„Können Sie für mich beten?“ Mein Nachbar und ich hatten uns vor seiner Haustür getroffen. Auf meine freundlich unverbindliche Frage: „Wie geht es Ihnen?“ hatte er mir erst zögernd und dann unerwartet offen erzählt: von seiner Krankheit, der niederschmetternden Krebsdiagnose, der belastenden Therapie. Und als ich etwas hilflos nachfragte: „Wie geht es denn jetzt weiter?“, zuckte er nur mit der Schulter. Und sagte: „Können Sie für mich beten?“

Keine Frage war das, eher eine Bitte. Und natürlich habe ich nicht „Nein“ gesagt. Da vertraute mir jemand an, was sein Leben belastet, traute mir zu und mutete mir zu, es mit ihm zusammen zu tragen. Ja mehr noch: es für ihn vor Gott zu bringen. Aus einem harmlosen „Wie geht es?“ erwuchs mir unversehens eine Aufgabe und eine persönliche Verbindung zu einem Menschen, den ich bisher nur flüchtig kannte.

Als Pfarrer bin ich daran gewöhnt, mit anderen zu beten, öffentlich im Gottesdienst oder auch in sehr persönlichen Begegnungen, wie am Krankenbett. Doch abgesehen von solchen Situationen in meinem Beruf nehme ich bei den meisten Menschen eher eine scheue Zurückhaltung wahr, sogar so etwas wie Scham um das Beten. Da ist es auch für mich etwas Besonderes und Berührendes, wenn mich jemand mitten im Alltag um ein Gebet bittet.

Dabei ist das Gebet ja der Herzschlag jedes religiösen Lebens, nicht nur im christlichen Glauben, auch in allen anderen Religionen, die ich kenne. Vermutlich gibt es mehr Menschen, die beten, als solche, die das nicht tun. Woher also diese Scheu, davon zu reden? Nun, es ist eben eine sehr intime Sache, sie betrifft unser Innerstes. Da sind wir ungeschützt, vielleicht auch unsicher. Davon anderen etwas zu zeigen, kostet Überwindung.

Beten ist eine stille Kraft. Wenn ich bete, verändert sich etwas in mir und in meinem Verhältnis zu den anderen. Ich werde konzentriert. Wenn ich meine Bitten und meinen Dank vor Gott bringe, dann sortieren sich die Dinge in mir. Was ist wirklich wichtig? Was ich im Gebet ausspreche, bekommt ein größeres Gewicht. Das heißt nicht, dass nur die großen Themen der Schlagzeilen und Nachrichten es wert wären, dass ich sie vor Gott ausspreche: etwa meine Sorge um den Klimawandel oder über die Kriege in der Welt. Sondern auch meine Dankbarkeit für diesen neuen Tag oder die Vorfreude auf den Urlaub. Oder eben die Sorge um meinen kranken Nachbarn. Alles, was mir nahe geht. Wenn ich bete, sage ich: Gott, sieh mich an! Und dann sehe ich zugleich selbst mein Leben neu an. Manches, was mich umtreibt und nervös macht, wird kleiner. Anderes kommt in den Blick, was sonst im Alltag untergeht. Konzentration auf das Wesentliche.

Damit zusammen hängt das zweite: Beim Beten kann ich die Dinge loslassen, die ich nicht beeinflussen kann. Ich vertraue sie Gott an, lege sie in seine Hand. Wenn jemand sterbenskrank ist – sollte ich dann Gott darum bitten, dass dieser Mensch weiterlebt? Oder darum, dass sein Sterben leicht wird? Wie gut, dass das nicht in meiner Entscheidung liegt! Wenn ich bete, setze ich mich ja gerade nicht an die Stelle Gottes. Sondern ich vertraue darauf, dass Gott dem Anderen auch in dieser schweren Zeit nah ist. So, wie ich ihm jetzt nahe sein will.

Auch das bewirkt das Gebet: es verbindet mich mit anderen. Wer betet, ist nicht allein. Immer sind da mit mir so viele andere Menschen vor Gott mit ihrer Freude und ihrem Dank, mit ihren Ängsten und Nöten. Da entsteht ein großer Zusammenhalt. Und ich ahne: so wie ich für andere bete, beten auch andere für mich. Wir sind verbunden durch Gottes Nähe zu uns allen. Das stärkt, macht Mut und hilft mir, in schwierigen Situationen durchzuhalten.

Vielleicht sollten wir einander das öfter zumuten, diese Bitte: Bete für mich. Als mein Nachbar mich das fragte, entstand etwas Neues zwischen uns. Seitdem verbindet uns mehr als vorher. Wir grüßen uns jetzt, so kommt es mir vor, mit einem stillen Einverständnis. Wir sprechen öfter miteinander. Und auf die Frage „Wie geht’s?“ reicht manchmal ein Händedruck als Antwort.

Es gilt das gesprochene Wort.