Der Heiße Draht

Morgenandacht

Pavan Trikutam / Unsplash

Der Heiße Draht
30.08.2021 - 06:35
23.08.2021
Thomas Dörken-Kucharz
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Kommunikation war noch nie so häufig, so viel und so schnell. Auch und gerade über räumliche Entfernungen hinweg. Staunte meine Generation noch, was mit E-Mails alles möglich war und ist, so ist für die Jüngeren die E-Mail ein alter Hut. Die sozialen Medien sind weitaus schneller, direkter, multimedialer, lockererer. Kurz: der E-Mail haushoch überlegen. Kommunikation läuft heute in Hochgeschwindigkeit und fast ununterbrochen ab. Sie ist unglaublich schnell. Und mit der gleichen Geschwindigkeit geht sie gerne auch schief. Aus einer unbedachten Formulierung wird ein Shitstorm, ein missverständlicher Satz wird tatsächlich missverstanden und sofort ist eine anklagende Antwort da, auf die man umgehend wieder antworten muss.

 

Stopp!

 

Aus Erfahrung bin ich da hoffentlich etwas klüger geworden. Jedenfalls habe ich mir eine Regel gegeben, die zumindest mir hilft. Wenn ich spüre, dass sich etwas in Mails oder Posts hochschaukelt, wenn der Ton kühler und schärfer wird, höre ich auf zu schreiben und antworte nicht mehr schriftlich. Obwohl es mir unter den Nägeln brennt und ich mich missverstanden und im Recht fühle und so weiter. Aber ich schreibe nicht. Ich greife zum Hörer oder suche, wo es geht, das persönliche Gespräch. Und das hilft. Meistens jedenfalls. Auch ein Gespräch kann schief gehen, man kann sich auch Auge in Auge entzweien. Aber das hat dann gewichtige Gründe und ist dann auch gewollt und gemeint. Sehr oft gelingt es mir, so unnötige Konflikte abzubremsen und die Sache wieder ins Lot zu kriegen.

 

Heute ist zu schnelle Kommunikation unser Problem. Früher war das anders.

 

Die Kubakrise zwischen den USA und der UdSSR hätte 1962 fast den dritten Weltkrieg ausgelöst. Sie hat beiden Großmächten vor Augen geführt, dass ein halber Tag für eine Botschaft in jeweils eine Richtung viel zu langsam war. Im Warten auf Nachrichten der anderen Seite wuchs die Ungeduld, wucherten Projektionen und stieg die Gefahr unüberlegter Handlungen, um ja der erste zu sein. Hochgefährlich, nicht nur, wenn es um Atomwaffen geht. Vor 48 Jahren haben die beiden Großmächte USA und UdSSR einen Mechanismus installiert, der Missverständnissen vorbeugen sollte. Er half viele Gefahren und viele Konflikte zu entschärfen. Das sogenannte „rote Telefon“. Richtiger war es der sogenannte „heiße Draht“. Denn rot war das Telefon nie und anfangs auch gar kein Telefon, sondern eine direkte Fernschreiberverbindung zwischen Washington und Moskau.

 

Bei Verstimmungen und im Krisenfall direkte und persönliche Kommunikation mit den richtigen und zuständigen Personen haben, das half und hilft. Ob die Kommunikation nun zu lange dauert und über zu viele Stationen führt wie damals oder ob sie zu schnell und zu unbedacht ist, wie heute: Ist das Gegenüber abstrakt oder ungreifbar, wachsen die Missverständnisse.

 

Jesus war ja manchmal recht drastisch. Zu misslingender Kommunikation hat er das Beispiel gewählt: „Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken im eigenen Auge siehst Du nicht?“ E-Mail und soziale Medien verleiten geradezu zur Splittersuche und die Balken bleiben außen vor. Im Gespräch kann mich mein Gegenüber zumindest auf meinen Balken aufmerksam machen. Auch wenn ich dann immer noch meine, sein Splitter sei größer, gewichtiger und gigantischer als mein Balken: Die Einschätzungen über die Größe von Splitter und Balken nähern sich an. Denn eine Person oder eine lebendige Stimme mir gegenüber hat bei der Verständigung ein anderes Gewicht als ein dahingetwitterter Halbsatz oder eine kurze, gepfefferte E-Mail, in Echtzeit mit nur einem Mausklick zugestellt.

 

Im Gespräch werden Bretter vorm Kopf und Balken im Auge viel eher zu Splittern. Und die Splitter gemeinsam auch viel leichter entfernt.

Es gilt das gesprochene Wort.

23.08.2021
Thomas Dörken-Kucharz