Kontakt zum Kind

Morgenandacht
Kontakt zum Kind
18.02.2021 - 06:35
11.02.2021
Annette Bassler
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum Nachlesen: 

„Und - haben Sie Kontakt zu Ihrem Kind?“ Die Kinderärztin schaut mich fragend an. „Kontakt?“ sage ich, „ich versteh nicht, was Sie meinen. Seit Tagen bin ich rund um die Uhr auf den Beinen, nachts koche ich Tee für mein Kind, gebe ihm was gegen das Fieber, beruhige die Geschwister. Was soll ich denn noch alles?“

Die Kinderärztin bleibt freundlich.  „Kontakt. Das hat nichts mit schaffen und machen zu tun. Im Gegenteil. Kontakt ist, wenn Sie einfach nur da sind. Das Kind betrachten, ihm zuhören, auch wenn es nichts sagt. Spüren, was ist. Das ist Kontakt.“

Im ersten Moment war das für mich verkehrte Welt. Wenn das Kind krank ist, wenn es alles Mögliche braucht und auch sonst viel zu erledigen ist. Dann einfach nur hinsitzen? Da sein? Und doch war das gefühlt Verkehrte genau das Richtige. Es hat gedauert, bis ich das verstanden habe.

Dass es der Kontakt ist, der heilt. Nicht die aufgeräumte Wohnung. Nicht der volle Kühlschrank. Nicht die erledigte to-do-Liste. Das alles beruhigt für den Moment. Aber heilsam ist es nicht. Heilsam ist, wenn das Kind sich geborgen fühlt. Weil da jemand ist, der spüren kann, was los ist.

Eigentlich bleibt das auch das ganze Leben so. Heute ist es das Gespräch mit dem Liebsten oder der besten Freundin, das mich heilt und lebendig macht. Oder ein fröhlicher Abend mit Freunden. Wenn wir nicht nur Spaß haben, sondern einander mitkriegen, spüren, wie es uns wirklich geht.  Wenn wir einander „erkennen“. Ein Wort, das Martin Luther übrigens verwendet hat. Wenn zwei Menschen eine besondere Nähe zueinander haben, körperlich oder seelisch, dann „erkennen“ sie einander. 

So eine Nähe kann man auch mit Gott haben, wie der Beter in einem Psalm weiß. Er beschreibt diese Nähe so:

„Du Gott kennst mich. Meine Gedanken verstehst du von ferne

und mit all meinen Wegen bist du vertraut.

Kein Wort ist auf meiner Zunge, Gott, das du nicht kennst.

Stiege ich hinauf zum Himmel, du bist dort.

Schlüge ich im Totenreich mein Bett auf - siehe: du bist da.

Nähme ich Flügel der Morgenröte und ließe mich nieder am äußersten Rand des Meeres,

auch dort würde deine Hand mich leiten und deine Rechte mich halten.“ (Psalm 139)

Am Ende des Psalms erzählt der Beter Gott von einer wunderbaren Verwandlung. Weil er sich auf besondere Weise wahrgenommen gefühlt hat, konnte er auch mit sich selber Frieden schließen.

„Danke, Gott, sagt er. Danke, dass ich auf erstaunliche Weise wunderbar geschaffen bin.“ Heilsame Nähe ist es, was wir Menschen von Anfang an und ein ganzes Leben lang brauchen.

Aber nun müssen unsere Kinder fast ein Jahr schon auf viele Kontakte verzichten. Auf heilsame Nähe zu ihren Freunden, den Großeltern, den Lehrerinnen und Trainern. So lange schon dürfen sie mit den besten Freundinnen nicht die Köpfe zusammenstecken und kichern, dürfen nicht miteinander raufen und kuscheln.

Der Hirnforscher Gerald Hüther warnt: Wenn Kinder ihre elementaren Bedürfnisse lange Zeit unterdrücken müssen, dann verändern sie sich. Ihr Gehirn baut sich um, irgendwann spüren sie ihre lebendigen Bedürfnisse nicht mehr. Und haben dann auch weniger Lust darauf, mit ihren Freunden zu raufen, zu toben und mit ihnen die Köpfe zusammenzustecken. Tun sie das längere Zeit, dann laufen sie Gefahr, etwas von ihrer Lebendigkeit zu verlieren.

Deshalb bewundere ich Eltern, die in dieser Zeit versuchen, mit ihren Kindern in Kontakt zu bleiben. Die trotz der vielen Aufgaben, die zu erledigen sind, sich einfach hinsetzen, Arbeit und Unordnung sein lassen und spüren, wie es ihrem Kind geht. Ich bewundere die Großeltern, die nicht darauf verzichten, mit ihren Enkeln zu spielen und sie in die Arme zu nehmen, auch wenn das ein bisschen riskant für sie ist.

Und ich wünschte mir, dass die Verantwortlichen in der Politik nicht nur mit den ExpertInnen der Virologie und der Wirtschaft in Kontakt bleiben, sondern auch mit den Kindern und deren Anwälte: Eltern, Erzieher, Lehrerinnen. Dass wir uns in diesen Wochen zuerst um die Schwächsten unter uns kümmern, dafür bin ich dankbar. Und unsere Kinder - sie gehören dazu.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

11.02.2021
Annette Bassler