Luthers Apfelbaum

Morgenandacht
Luthers Apfelbaum
02.11.2017 - 06:35
26.10.2017
Jörg Machel
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Zum Reformationsjubiläum gründlich gesäubert hat man das Lutherdenkmal auf dem Dorothenstädtischen Friedhof in Berlin. Es erstrahlt in geradezu unnatürlichem weiß, so dass Besucher fragen: „Muss das so sein, das blendet ja richtig?“ Die Verwalterin beruhigt: „Die Patina wird sich in wenigen Jahren wieder über den Reformator gelegt haben, und wenn der Medienrummel des Gedenkjahres 2017 vorbei ist, wird sich das Denkmal bald wieder einfügen in die vielen Skulpturen und Monumente dieses wunderbaren Friedhofs.“ Ein Naturdenkmal allerdings wird hinzugekommen sein und mit jedem Jahr etwas mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Das ist der „Lutherbaum“, den der Friedhofsverband in diesem Jahr auf dem Friedhof gepflanzt hat. Pünktlich zum 500. Reformationsjubiläum haben die Barnimer Baumschulen eine Apfelsorte mit dem Namen „Martin Luther“ kultiviert, und in den vergangenen Monaten wurden 95 Bäume zum Preis von je 500 € verkauft, jeder mit einer These bestückt.

 

Damit setzen die Käufer ein Zeichen der Hoffnung, denn mit dem Geld werden diakonische Projekte der Lobetaler Anstalten unterstützt. Gleichzeitig aber sollen die Bäume an einen Satz erinnern, der zu einem der bekannten Lutherzitate wurde: „Wenn ich wüsste, dass Morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Ich denke, es hätte den Reformator gefreut, dass seine Thesen gegen den Ablass nun ebensoviele Apfelbäume erblühen lassen. Ein klassischer Herbstapfel soll es sein, eine alte Sorte mit gutem Aroma, wie der Reformator sie gekannt und gegessen haben könnte (1). Immerhin 47.500 € kamen durch diese Aktion zusammen, um damit Beschäftigungsangebote für Menschen mit Behinderung zu schaffen.

 

„Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Mit diesem Zitat verhält es sich jedoch wie mit vielen Worten, die man großen Persönlichkeiten in den Mund gelegt hat – es findet sich kein Beleg dafür. Der Theologieprofessor Wolf Krötke ist diesem angeblichen Lutherzitat einmal genauer nachgegangen und hat gefragt, ob diese Worte überhaupt zu Luthers Denken passen würden? Und Krötke verneint: Luther „war nämlich fest davon überzeugt, dass noch zu seinen Lebzeiten das ‚jüngste Gericht‘ hereinbrechen werde, bei dem Christus dieser Welt ein Ende bereiten und die Toten und Lebendigen richten werde.“ Und: „Wer der Überzeugung ist, dass der ‚jüngste Tag nun nicht fern‘ ist, den treibt nicht die Sorge um ‚kommende Generationen‘ um.“ Ich allerdings könnte mir durchaus vorstellen, auch angesichts eines sicheren Weltuntergangs einen Apfelbaum zu pflanzen. Ich täte es mit einem Gefühl des Trotzes, aus dem heraus man etwas tut, selbst wenn man weiß, dass man damit nur der Stimme seines Herzens nachkommt, ohne noch einen äußeren Zweck zu verfolgen. Doch mein Trotz wäre nicht völlig hoffnungslos. Denn ganz wie Martin Luther rechne ich damit, dass hinter all den Verrücktheiten dieser Welt doch noch ein Sinn liegt. Ein Sinn, den uns allerdings erst Gott selbst zu eröffnen vermag.

Oder wie Paulus es ausdrückt: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel, ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht, jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen wie ich erkannt worden bin.“ Die Patina über der Sinnfrage unseres Lebens, die lässt sich wohl nicht so leicht entfernen wie die Ablagerungen der Großstadtluft auf dem Lutherdenkmal. Aber wachsen wie ein Apfelbäumchen, das kann der Glaube schon. Der Trotz, dem Verstand und Verantwortung folgen, ist ein guter Anfang dafür.

 

(1) http://www.lobetal.de/INTERNET/wir-ueber-uns/nachrichten/Lutherapfel/index.html

26.10.2017
Jörg Machel