Reformation und Schwarmintelligenz

Morgenandacht
Reformation und Schwarmintelligenz
31.10.2020 - 06:35
27.10.2020
Annette Bassler
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Heute ist Reformationstag. Heute vor 503 Jahren soll Martin Luther seine Thesen an die Wittenberger Schlosskirche genagelt haben.

Diese revolutionären Thesen von Martin Luther haben den Weg bereitet zur Moderne- mit ihren Menschen- und Freiheitsrechten und mit der Idee einer allgemeinen Demokratie.

Unvergesslich sein Auftritt auf dem Reichstag in Worms. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen“, hat er Kaiser und Papst entgegengeschleudert und sich trotz Todesdrohung einem Widerruf seiner Thesen verweigert. Legendär sein Aufenthalt auf der Wartburg. In seinem Arbeitszimmer kann man heute noch den Tintenfleck an der Wand besichtigen. Da hat er dem Teufel das Tintenfass hinterhergeworfen. Reformation, das war: einer gegen alle: Kaiser, Papst oder Teufel.

So habe ich das gelernt. Und das hat auf meinen protestantischen Glauben abgefärbt: Der Mensch mit seinem Gewissen allein vor Gott. Wenn es sein muss auch allein gegen den Rest der Welt.

Bis ich einmal durch die Stadt gelaufen bin, in der Luther damals gelebt und gewirkt hat: Wittenberg, eine Kleinstadt an der Elbe zwischen Leipzig und Berlin. Hier war er alles, aber nicht allein. In Wittenberg kann man sehen: Reformation- das war nicht nur Luther. Reformation, das war ein kongeniales Team.

Kommen Sie mit! Mein Spaziergang beginnt in dem Haus, in dem Luther gelebt hat. Eigentlich war es ein Hotelbetrieb, den seine Frau Käthe gemanagt hat. Im Haustor noch heute die beiden Vorsprünge im Stein, auf denen Luther mit seiner Käthe gesessen und die Kinder im Garten hat spielen sehen. Kindererziehung, Hotelmanagement, Fisch- und Bienenzucht, bettelnde Hausgäste, es waren viele Probleme, die Käthe mit ihrem Martin besprochen hat. Hier hat ihr Martin viel von der Lage der Nation mitbekommen.

Luther ist jeden Morgen in fünf Minuten zur Uni gelaufen. Immer vorbei am Haus seines Freundes und Kollegen Philipp Melanchthon. Was wäre Luther gewesen ohne diesen klugen und diplomatischen Kollegen an der Uni? Wie oft hat der die Wogen geglättet, wenn Luther in seiner aufbrausenden und beleidigenden Art Porzellan zerschlagen hat? Und was wäre er gewesen ohne einen anderen Freund: den Ortspfarrer von Wittenberg? Der alle innovativen Ideen von Luther in seiner Gemeinde umgesetzt und auf ihre Tauglichkeit getestet hat.

Ein paar Fußminuten weiter schließlich Lucas Cranach. Er war nicht nur ein genialer Maler und Geschäftsmann, er war sozusagen Chef von Luthers PR- Abteilung. Wir kennen Luther heute nur durch seine Profilbilder. Allein die Bibel soll Maßstab für das Leben sein, hat Luther gefordert. Aber was ist, wenn fast niemand lesen kann? Dann bekommen sie eben die Bibel in Bildern. Geschaffen von Lucas Cranach.

Am Ende der Straße in Wittenberg wohnte schließlich der Großinvestor und Finanzier des reformatorischen Unternehmens: Kurfürst Friedrich der Weise. Ohne sein Geld und seinen Schutz hätte Luther weder seine Familie ernähren noch an der Universität lehren können, ohne seine Investitionen wäre Philipp Melanchthon nicht in das damalige Provinznest Wittenberg gezogen und Lukas Cranach hätte seine Werkstatt wegen Insolvenz schließen müssen.

Kurzum: die gewaltige Bewegung der Reformation vor mehr als 500 Jahren war nur möglich, weil es ein Team gab, in dem sich Menschen auf kongeniale Weise in ihren Begabungen ergänzt haben.

Wenn ich an die gewaltigen Herausforderungen denke, die wir heute zu bewältigen haben, dann hilft mir das. Ich glaube, wir sollten weniger auf „einsame Helden“ setzen und mehr dem guten Geist von Teams vertrauen. „Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen“, hat Jesus gesagt. Es braucht nicht DEN oder DIE eine, es braucht mindestens zwei, aber besser noch viele. Vertrauen wir der göttlich inspirierten Schwarmintelligenz. Vertrauen wir der Kraft der vielen Menschen guten Willens, die sich in ihren Fähigkeiten und Ressourcen ergänzen.

Die werden beflügelt von Gottes Geist und Kraft, sodass sie weit über sich hinauswachsen und mehr bewirken als sie ahnen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

27.10.2020
Annette Bassler