Mein Sprachgesell und Wasserquell

Morgenandacht
Mein Sprachgesell und Wasserquell
16.03.2021 - 06:35
10.03.2021
Eberhard Hadem
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum Nachlesen: 

Bilder prägen das Denken. Das gilt auch für religiöse Bilder und Symbole. So erinnert das christliche Kreuz an die Passion Jesu, sein Leiden und Sterben. Und an den Glauben, dass der Tod überwunden ist, ein für allemal. 
Im Alltag vermisse ich das. Da reduziert sich das Kreuz eher auf die Bedeutung, dass jemand tot ist, dass Leiden und Sterben vorbei sind. So finde ich es in Todesanzeigen und auf Grab-steinen: Vorbei ist’s. Basta. Aus. Ende. Sie oder er hat fertig. Das Kreuz, nur noch als Rück-blick aufs gelebte Leben. 

Ich vermisse die Verbindung mit dem Leben, das jetzt gerade geschieht. Gerade deshalb mag ich alte Passionslieder. Nicht jedes Passionslied, schon gar nicht die, die im Leiden Jesu wüh-len wie das Boulevardblatt im Dreck, in dem irgendein Promi gelandet ist. Aber in alten Lie-dern erfahre ich, wie Menschen lange vor mir mit Leid und Elend umgegangen sind, auch mit dem Sterben. Die nicht ausgewichen sind, die Leid und Tod nicht verdrängt, sondern standge-halten haben. 

„Du, Gott, sollst sein meines Herzens Licht, und wenn mein Herz in Stücke bricht, sollst du mein Herze bleiben. (…) im Streite soll es sein mein Schutz, in Traurigkeit mein Lachen, (…) und wenn mir nichts mehr schmecken will, soll mich dies Manna speisen, im Durst soll’s sein mein Wasserquell, in Einsamkeit mein Sprachgesell, zu Haus und auf der Reisen.“ (EG 83)

So klingt es in einem Lied von Paul Gerhardt, Liederdichter im 30-jährigen Krieg. Lang ist’s her und dennoch ist die alte Sprache so frisch, wie sich mancher wünscht, von Liebe und Glaube dichten und sagen zu können.  
Ob ich schwer krank bin oder auch nur unglücklich verliebt: Du sollst mein Herze bleiben, mein Sprachgesell und Wasserquell. Heute redet kaum jemand noch so, aber mir tun die Bil-der und Vergleiche gut. Sie sind wohltuend. Schon wenn ich die Worte nachspreche, verändert sich etwas bei mir. Die Worte sind kein nackter Text. Keine nüchternen Fakten, die ich erst einordnen muss. Sie tragen in sich selbst etwas von Liebe. Sie wecken meine Liebe, zu Men-schen und zu Gott. Solche Lieder weisen mich nach vorne, geben meinen Gedanken ein Ziel. Das befreit mich von dem zwanghaften Fokus auf mich selbst. Ich finde Trost ohne vertröstet zu werden. Weil die Bilder zu ‚Sprachgesellen‘ werden, die mich begleiten wollen. Auf so eine Idee wie Paul Gerhardt muss man erst mal kommen.

Jetzt, in der Corona-Pandemie, machen das manche. Sie beziehen Bilder, Gedanken, sogar ganze Liedverse direkt auf ihr eigenes Leben, auf ihre Angst, auf ihr Schicksal. Weil es sie stark macht, den eigenen Schmerz und die Einsamkeit auszuhalten. Einer, an Covid-19 er-krankt, hat mir davon erzählt. Er hat ein Lied für sich entdeckt, das heißt: ‚Ich möcht‘, dass einer mit mir geht‘. „Dieses Lied tröstet mich, wenn ich nicht weiter weiß. Wer da mit mir geht, ob es ein Freund oder meine Frau oder Gott selbst in Jesus ist, lasse ich offen, das wechselt auch schon mal. Mir wird leichter, wenn ich das Lied vor mich hinsinge.“

„Ich möcht, dass einer mit mir geht, der auch im Schweren zu mir steht, der in den dunklen Stunden, mir verbunden.“ (EG 209)

Wenn in diesen Zeiten etwas fehlt, denke ich, dann ist es doch dieses Sich-verbunden-fühlen, sich dieser Verbindung gewiss zu sein im Herzen. Einen zu haben, der mit mir durch dick und dünn geht: Gott im Herz, im Streite soll es sein mein Schutz, in Traurigkeit mein Lachen. 
Ein Lied als Sprachgesell und Gott im Herzen. Das sind schöne Bilder, die Paul Gerhardt in sei-nem Passionslied aufruft. Sie zeigen mir – weder im Leid noch mit dem Tod bin ich allein und verlassen.
 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

10.03.2021
Eberhard Hadem