Vom Glück, dass Gott mich sieht

Morgenandacht
Vom Glück, dass Gott mich sieht
15.03.2021 - 06:35
10.03.2021
Eberhard Hadem
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum Nachlesen: 

Sein Kreuz, Jesu Kreuz, auf sich nehmen! Das klingt nach einer großen Last. Manche meinen, sie tun dem Pfarrer etwas Gutes damit, wenn sie ihm ein Kreuz schenken – oder alte Gesang-bücher und Bibeln. Und so, als Geschenk, war ein Kreuz unterwegs. 
Nach einer Wohnungsauflösung bringt jemand ein Kruzifix ins Pfarrhaus. Nicht besonders wertvoll, aber zu schade um es wegzuwerfen. Nicht menschengroß, aber schwer genug, um das Kruzifix mit beiden Händen tragen zu müssen. Im Gemeindehaus ist kein Platz, also wird es in den Keller gehängt, unter eine Treppe an einen Haken. 

Dann kommt Mario ins Pfarrhaus. „Ich muss 100 Sozialstunden in der Kirchengemeinde ableis-ten“, sagt er. Das hat das Gericht festgelegt: Sozialstunden statt Jugendhaft. Erste Aktion mit Mario: Aufräumen im Jugendkeller, dort haben sich etliche Kisten angehäuft. An der Treppe und am Kreuz vorbei wird alles nach draußen getragen. Irgendwann fragt Mario: „Was macht denn der Jesus im Keller? Der gehört doch in die Kirche.“ Kurze Verlegenheit. Und eine eher ausweichende Antwort für Mario: „Hier hat er ein Auge auf unsere Jugendarbeit.“ 

Marios Blick fällt in den nächsten Tagen immer wieder auf das Kreuz unter der Treppe. Als er seine 100 Sozialstunden abgeleistet hat, fragt er: „Kann ich das Kreuz haben?“ Was er damit machen will? Jetzt muss Mario die Frage beantworten. Er sagt: „Ich hänge es bei mir auf, damit Gott auf mich schauen kann.“ Die Antwort überrascht. Und das Kreuz wechselt den Be-sitzer. Ein eigenartiges Bild, wie Mario mit dem Kreuz auf seiner Schulter seiner Wege geht.
Diese Geschichte hat mich lange beschäftigt. Für Mario wurde ‚sein‘ Kreuz zu einem Symbol seiner Hoffnung: Jesus sieht mich. Die Sehnsucht, gesehen und wahrgenommen zu werden, Mario hat sie geäußert. Ich glaube, dass sich dahinter der Wunsch verbirgt, im besten Sinne des Wortes auch Ansehen bei Gott zu haben. Meldet sich diese Sehnsucht, dann kommt sie tief aus der eigenen Seele und sucht ihren ganz eigenen Weg der Erfüllung. 

Für Mario war ‚sein‘ Kreuz Ausdruck seiner Sehnsucht, Ansehen bei Gott zu haben. Darum hat er sein Kreuz geschultert. Vielleicht hat er sich gedacht, durch den Jesus am Kreuz, der ihn anschaut, kann er – Mario – selber ein anderer werden, kann er sich selber überwinden. Weil einer auf ihn aufpasst, der Sohn vom Großen Boss. Für Mario war damit das Wichtigste voll-bracht. Das Kreuz auf seiner Schulter wurde zu seiner Bitte: ‚Schau mich an, Gott. Bitte. Sieh, wohin ich geh.‘ 

Es fällt schwer zu glauben, dass der himmlische Blick auf mir ruht. Weil ich von mir selber so kritisch denke. Manchmal stimmt die Selbstkritik auch und es wäre gut, mich ihr zu stellen. „Ihr Kleingläubigen!“ (Mt. 8, 26) fährt Jesus seine Jünger an, „warum seid ihr so furcht-sam?“ Kaum zu glauben, dass Gott mich freundlich anschaut. Ein Blick in den Abgrund des eigenen Zweifels – und ich wende mich ab. Das wird auch Mario so gehen, wenn er wieder einen Bockmist macht. 
Den Kleinglauben überwinden, das schwache Zutrauen zur Güte Gottes: Dafür hat Jesus gelebt und sein Kreuz auf sich genommen. Damit der Zweifel zu einem Raum in uns Menschen wer-den kann, in dem Gott an uns glaubt. Kein Abgrund, sondern Raum für Gott. Wo es nicht da-rauf ankommt, was ich sehe und glaube, sondern umgekehrt: Dass Gott mich sieht und an mich glaubt. 
Wie es Mario damit geht? Ich weiß es nicht. Es wäre schön, wenn das Kreuz aus dem Keller ihm hilft. Zu einem Menschen zu werden, der seinen Weg findet. Den Gott freundlich ansieht und an den Gott glaubt.
 

Es gilt das gesprochene Wort.

Mario-Geschichte: nach einer Predigt von Dr. Ilona Nord 10.4.2009, Riedberg Frankfurt/Main, www.predigtpreis.de, überarbeitet von E.H.

 

10.03.2021
Eberhard Hadem