Wohngemeinschaft: das Versprechen

Morgenandacht
Wohngemeinschaft: das Versprechen
17.09.2020 - 06:35
10.09.2020
Cornelia Coenen-Marx
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Was ein Hausstand ist, darüber hatte ich mir lange keine Gedanken gemacht. Aber in den letzten Monaten wurde das plötzlich ganz wichtig. Gemeint ist nicht unbedingt eine Familie oder eine Lebensgemeinschaft im rechtlichen Sinne. Ein Hausstand kann auch eine Wohngemeinschaft sein. Von Studenten, Studentinnen oder Senioren. Weil es besser ist, nicht allein zu sein, hat sich da während der Corona-Krise viel bewegt. Studierende sind zurückgezogen ins Elternhaus. Alleinstehende zu einer befreundeten Familie. Zwei Mütter mit ihren Kindern haben sich zusammen getan. Zusammen kann man einander aushelfen und entlasten. Miteinander essen, zusammen spielen – auch mal spazieren gehen.

Wohngemeinschaften haben ja ohnehin Konjunktur, nicht nur wegen der Corona-Krise. Mehrgenerationenhäuser und Seniorenwohngemeinschaften versprechen den richtigen Mix aus Selbstbestimmung und wechselseitiger Hilfe. Die einen mähen den Rasen, die anderen helfen bei den Hausaufgaben oder lesen den Jüngsten vor. Es gibt immer mehr phantasievolle Projekte. „Wohnen gegen Bildung“ zum Beispiel – in Ruhrgebietsstädten geben Studierende benachteiligten Kids Nachhilfe und können dafür kostenlos wohnen. Anderswo bieten Ältere kostenloses Wohnen gegen kleine Dienstleistungen an – Einkauf zum Beispiel oder Gartenarbeit. So bleiben sie nicht allein in ihrem zu groß gewordenen Haus.

Es ist schon merkwürdig: Einerseits leben viel mehr Menschen allein als noch vor 20 oder 30 Jahren - über 40 Prozent der Älteren sind Singles. Und tatsächlich wird heute auch sehr viel mehr Wohnraum pro Person beansprucht. Andererseits ist da diese wachsende Sehnsucht nach Gemeinschaft. Nach Austausch und wechselseitiger Unterstützung. Allerdings scheitern viele Wohngenossenschaften auf dem langen Weg vom Projekt zum Einzug. Wenn es konkret wird, ist es eben nicht so einfach, sich zu einigen. Wie groß sollen die Gemeinschaftsräume sein? Und wie viele brauchen wir? Treffpunkt, Gästezimmer, Bibliothek und Küche? Und: wieviel Raum braucht jeder für sich privat – ein Zimmer oder doch lieber ein kleines Appartement? Da werden Erinnerungen wach - an die Studenten-WG und die Putzpläne, an das überfüllte Mehrfamilienhaus aus der Nachkriegszeit oder die Platte irgendwo in Berlin. Immer zwischen Wahlverwandtschaft mit Grillabenden und Sozialkontrolle. „Feind hört mit“, sagte meine Schwiegermutter manchmal.

Kann man lernen, einen guten gemeinsamen Weg zu finden? Eine Akademie hat kürzlich eine Wohnschule angeboten – für Leute, die sich auf das Abenteuer einer Genossenschaft einlassen wollen. Ein Vertrag reicht da nicht. Mir fallen die alten Schwestern aus dem Diakonissenhaus ein, die über Jahrzehnte gemeinsam im Mutterhaus wohnten. Sie erinnerten sich später an die Farbe und die gefühlte Temperatur der Räume – wo es licht war und wo düster, wo Weite herrschte oder beklemmende Enge. Auf den Spirit kommt es an in so einer Gemeinschaft.

„In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen“, sagt Jesus, als er sich von seinen Jüngern verabschiedet. „Und ich gehe hin, Euch die Wohnung zu bereiten“. Das klingt wie ein großes Versprechen. Ich sehe ein helles, offenes Haus. Wo Unterschiede Platz haben. Wo niemand sich kleiner oder größer machen muss als er ist. Jesus redet vom Himmel, ich weiß - aber es gibt solche Erfahrungen auch hier und jetzt. Der umgebaute Hof, in dem die Großfamilie Platz hat – mit allen Generationen. Die Wohngruppe von Menschen mit Behinderung, gleich nebenan.

Manchen haben während der Corona-Krise Erfahrungen aus dem Kloster geholfen: Da gibt es den gemeinsamen Speisesaal, das Refektorium, die Bibliothek – aber daneben hat jeder seine eigene Zelle, den eigenen Freiraum. Man muss sich klar machen, was man selbst braucht, um sich wohl zu fühlen. Und miteinander sprechen - nicht nur über den Kühlschrank oder das Putzen, sondern auch über Wünsche, Ziele und Träume. Und ganz bewusst zuhören. Und auch Rituale sind wichtig: gemeinsame Mahlzeiten oder feste Verabredung zum Spielen, Musizieren, Lesen. Es kommt darauf an, aufeinander zu achten wie auf sich selbst. Und nicht erst in der Krise.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

10.09.2020
Cornelia Coenen-Marx