Nichts

Morgenandacht
Nichts
12.11.2020 - 06:35
12.11.2020
Silke Niemeyer
Sendung zum Nachhören

Ich kann nichts. Ich weiß nichts. Ich will nichts. Nichts, nichts, nichts! Keine Lust, keine Idee, keine Energie. Ausgewrungen, ausgelutscht, ausgelatscht. Aus, aus, aus. Alles banal und schal. Alles gesagt, alles schon mal gehabt.

 

Gute-Laune-Stimmen im Radio – ich schalte aus. Mal etwas Anderes probieren? Die etwas andere Methode, den etwas anderen Geschmack, das etwas andere Gefühl, das etwas andere Format, den etwas anderen Gottesdienst? Nein! Ich kann’s nicht mehr hören. „Und jetzt das Wetter!“  – interessiert mich nicht.

 

Wenn ich mit dem Nichts verkehre, weiß ich wieder, was ich soll, hat Bert Brecht gedichtet. (1) Falsch – ich weiß dann nicht, was ich soll. Ich laufe rum wie Falschgeld, fange Dinge an, lasse sie wieder liegen, hebe andere auf, nichts füllt die Leere. Doch: manchmal der Kopfschmerz.

 

Das ist nicht die Leere, die von den Mystikern gepriesen wird, es ist nicht die Leere, die sich bei Menschen einstellt, die erprobt sind in der Meditation. Es ist eine überdrüssige, eine verdrossene Leere. Es ist eine Leere, die nicht gelehrig ist, die sich einfach nur dumpf und brütend anfühlt. In solcher Leere wird man nicht leicht, sondern schwer.

 

Meister Eckhart, der große und zu seiner Zeit angefeindete Theologe des Mittelalters, unterscheidet zwei Arten von innerer Leere. Er sagt „Du sollst wissen: leer sein aller Kreaturen ist Gottes voll sein, und voll sein aller Kreatur ist Gottes leer sein.“ (2)

 

Das ist scharf erkannt. Was sich in diesen elend leeren Momenten anfühlt wie eine große innere Leere, ist in Wirklichkeit eine Überfüllung. Ich bin dann bis zum Überdruss „voll aller Kreatur“, bis obenhin voll mit Reizen und Stimmen, mit Meinungen und Ansprüchen, mit Aufgaben und – eines meiner am liebsten gehassten Wörter – Projekten. Mit der Devise „genug ist nicht genug“, „mehr!“, „schneller!“, „schneller mehr!“ bin ich da wohl kein Ausnahmefall, ich bin der Normalfall. Nicht weil alle so gierig nach mehr sind, nein. Sondern aus Angst zurückzufallen und zu verlieren. Warum? Der Soziologe Hartmut Rosa sagt: „weil wir immer und überall wie auf Rolltreppen nach unten stehen.“ (3) Wir müssen mehr machen und mehr konsumieren, um nicht weniger zu haben. Es gibt keinen Punkt, an dem es mal genug ist.

 

Noch einmal Meister Eckhart: „voll sein aller Kreatur ist Gottes leer sein.“  Es scheint mir, wir leben in gottesleeren Zeiten – vielfach abgeschnitten von den Quellen des Sinns, unempfänglich für heilige Geistkraft, alleingelassen mit uns selbst, uns selbst zu schwer geworden, unerlöst. Wo soll der Heilige Geist noch wehen können, wenn alles vollgestopft ist? Wo soll sein Feuer noch Sauerstoff finden?

 

Gottesleere: sie ist nicht der Zweifel, sie ist nicht der Atheismus. Die eigentliche, die viel gefährlichere Gottesleere ist die Überfüllung unseres Lebens. Sie ergreift auch die Kirchen, da, wo sie ihr Heil darin suchen sich vollzustopfen mit unzähligen, jetzt kommt wieder das Wort, Projekten, um nicht zu verlieren.

 

Wenn das Gefühl kommt „Ich kann nichts, ich weiß nichts, ich will nichts“: dann keine Ratgeber lesen, wie man zu mehr Können, Wissen und Willen kommt! Einfach mal Meister Eckhart hören: „Soll ein Herz Bereitschaft für das Allerhöchste haben, so muss es auf einem bloßen Nichts beruhen, und darin ist auch die größte Möglichkeit, die es geben kann.“

 

Also Aushalten. Keine Panik. Keine Angst vor der Leere. Keine Angst vor der Langeweile. „Mit dem Nichts verkehren“. Gott wird es füllen. Nicht sofort. Aber es kommt die Zeit.

 

 

 

 

 

  1. http://www.planetlyrik.de/bertolt-brecht-gedichte-ueber-die-liebe/2018/08/
  2. In Traktat 3, Von der Abgeschiedenheit
  3. Hartmut Rosa: Unverfügbarkeit. S. 16
  4. Meister Eckhart, ebd.
12.11.2020
Silke Niemeyer