Nikolaus und das Korn

Morgenandacht

Gemeinfrei via Unsplash/ Marek Studzinski

Nikolaus und das Korn
06.12.2022 - 06:35
29.07.2022
Stephan Krebs
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Als Protestant habe ich ein eher distanziertes Verhältnis zu Heiligenfiguren. Besonders natürlich zu deren Verehrung. Aber ich gebe zu: Die Legenden über Heilige sind auch ein großer Erzählschatz. Das trifft insbesondere auf Nikolaus zu. Sein Gedenktag ist heute, am 6. Dezember. Nikolaus ist ein besonders beliebter Heiliger, das zeigen schon die vielen Abwandlungen seines Namens: Nikolas, Niklas, Nikola, im russischen heißt er Nikolai. Der ursprünglich griechische Name Nikolaos bedeutet übersetzt: Sieg des Volkes. Ihm haftet also etwas volksnahes und sogar widerständisches an. Und das zeigt sich in den Legenden, die sich um ihn ranken. Stets stellt er sich darin auf die Seite der Armen und Bedrohten und hilft ihnen.

Eine dieser Legenden klingt beklemmend aktuell, denn sie spricht in den Konflikt um die Ukraine hinein. Deshalb will ich sie erzählen. Auch, weil Nikolaus gerade in der russisch-orthodoxen Kirche eine besonders große Rolle spielt. Er nimmt dort in der Verehrung den dritten Rang ein – direkt nach Christus und Maria.

Die Geschichte trägt den Titel „Das Kornwunder“ und findet im Hafen der Stadt Myra statt. Die heißt heute Demre und liegt im Süden der Türkei, 100 Kilometer südwestlich von Antalya. Dort ist Nikolaus um 300 nach Christus Bischof. Er sorgt sich um die Menschen, denn sie hungern. Im Hafen liegt ein Schiff voller Getreide. Das aber ist nur auf der Durchreise. Seine Ladung ist für den Kaiser in der fernen Hauptstadt bestimmt. Da schaltet sich Nikolaus ein. Er überzeugt die Seeleute von der Ladung etwas abzuzweigen. Dabei verspricht er ihnen, dass nichts fehlen wird, wenn sie an ihrem Zielort ankommen. Die Seeleute lassen sich anrühren: von der Glaubensstärke des Nikolaus und von der unmittelbaren Not der Menschen. Sie geben ab von ihrem Getreide und fahren dann erst weiter. Als sie am Ziel ankommen, hat ihre Ladung dennoch das vereinbarte Gewicht. Und die Menschen in Myra haben genug Getreide, um durch die Not zu kommen. Ein Wunder – ermöglicht durch das gute Herz der Seeleute und die Glaubenskraft des Nikolaus.

 

In der Ukraine passiert das Gegenteil. Noch immer lagern dort große Mengen Getreide in Silos – lange konnte es nicht zu denen gebracht werden, die es dringend brauchen. Hunger und Getreide dienten Russland als Waffe. Das trieb die Preise weltweit in die Höhe und machte Getreide in den ärmeren Ländern für viele unbezahlbar. Eigentlich haben sie mit dem Krieg in der Ukraine gar nichts zu tun. Sie leben im Nahen Osten, in Afrika oder anderswo. Aber sie leiden an den Folgen. Für Russland ein gutes Geschäft, Getreide aus den besetzten Gebieten in der Ukraine zu stehlen. Erst das Getreideabkommen machte die sichere Passage der Schiffe im Kriegsgebiet möglich. Zum Glück wurde es jüngst bis zum Frühjahr nächsten Jahres verlängert. Aber es ist unsicher.

Die Nikolauslegende vom Getreidewunder sollte den Patriarchen von Moskau irritieren. Bislang unterstützt er kritiklos die russische Staatsführung, die versucht die Ukraine zu zerstören und auszuplündern. Wie das zum christlichen Glauben passen soll, für den Nikolaus steht, bleibt das Geheimnis des Patriarchen. Nikolaus, der von russischen Gläubigen so intensiv verehrte Heilige, hat anders gehandelt. Er hat dafür gesorgt, dass das Getreide zu denen kam, die es zum Leben brauchten.

Die Geschichte vom Kornwunder lenkt die Aufmerksamkeit auf diesen Skandal. Und sie erinnert daran, welche Haltung aus dem christlichen Glauben, aber auch aus dem humanistischen Menschenbild erwächst: Fürsorge und Achtung. Sorgen und Teilen - nicht Wegnehmen und Zerstören.

Ich bin mir sicher: Das finden viele Menschen in Russland auch. Der Nikolaustag fragt sie nach dem, was in ihrem Namen gerade geschieht. Heute wird ein Umdenkwunder in Moskau gebraucht. Dafür bete ich.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

29.07.2022
Stephan Krebs