Pontius Pilatus

Morgenandacht

Gemeinfrei via pixabay/ mohamed_hassan

Pontius Pilatus
Morgenandacht von Pfarrer Jörg Machel
12.04.2023 - 06:35
01.02.2023
Pfarrer Jörg Machel
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Über Politiker zu schimpfen – das gehört zu den Unarten, die ich mir nur mühsam abgewöhnen kann. In Berlin stolpert man über so viele Ärgernisse und über irgendwen möchte man sich schließlich aufregen. Wut sucht ihr Ventil. Und weil man eigentlich gar nicht so genau weiß, wer diese Baustelle vor meiner Nase eingerichtet hat, die seit Wochen unverändert ruht, ohne dass sich irgendetwas tut, ist man sauer und sucht nach Schuldigen. Am Ende der Suche stehen die Politiker. Sie haben ihren Laden nicht im Griff.

Wer schon einmal Leitungsverantwortung hatte, weiß, so einfach ist das nicht. Wenn die Nudeln im falschen Regal stehen, dann beschwert man sich vielleicht bei der Marktleiterin – aber die zuckt nur hilflos mit den Schultern und schaut verdutzt und anklagend auf ihren Mitarbeiter.

Ich wurde oft für das Versagen der Kirche in Haftung genommen und das nicht nur für gegenwärtige Missstände. Wie oft musste ich mich für die Inquisition verantworten, obwohl die wirklich nicht in meinen Verantwortungsbereich als evangelischer Pfarrer fällt.

Insofern lese ich auch die Passionsgeschichte mit einiger Empathie für die Verantwortlichen, die darin vorkommen. Pontius Pilatus zum Beispiel hat mein Mitgefühl. Man kann ihn durchaus einen Politiker nennen, vielleicht auch einen hohen Staatsbeamten. In jedem Fall teilt er das Schicksal der meisten Menschen mit Verantwortung: er steht irgendwo zwischen oben und unten.

Er hat Menschen über sich, denen er Rechenschaft schuldig ist, die erwarten von ihm etwas, dem muss er Genüge leisten. Und er hat Menschen unter sich, auch die haben Erwartungen. Und beide Seiten tun so, als hätte er die Macht und die Mittel, alle Ansprüche zu erfüllen.

Doch so ist es nicht. Die Oberen verweigern allzu oft ihre Unterstützung und die Untertanen ihre Gefolgschaft. Pilatus steht dazwischen. Mal argumentiert er, mal droht er, mal schmeichelt er, häufig taktiert er. Ist er darin gut, ist sein Posten sicher. Vertut er sich, kann es ihm den Job kosten. Das wissen alle. Das weiß sein Chef, das wissen seine Untergebenen und er selbst weiß es auch. Das macht ihn nicht machtlos, aber das begrenzt seine Handlungsfähigkeit enorm.

Jesus ist den etablierten Religionswächtern ein Ärgernis. Seine Auslegung der Thora zielt auf den einzelnen bedürftigen Menschen und damit untergräbt er das religiöse System. Er stiftet Unruhe und muss gestoppt werden, so hat man sich geeinigt. Doch die Juden sind nicht Herren im eigenen Haus. Die Römer sind die Herren im Land, sie sprechen Recht. Und so wendet man sich an Pilatus, er möge vollstrecken, was man im Hohen Rat beschlossen hat: Jesus muss sterben.

Doch Pilatus ist zögerlich. Ob er sich tatsächlich mit der Botschaft Jesu befasst hat und sie für ungefährlich hält? Oder ob er fürchtet, dass Jesu Hinrichtung den Aufstand seiner Anhänger auslösen könnte? Es ist nicht überliefert. Vielmehr mutet die ganze Darstellung als eine nachösterliche Inszenierung an: um die römischen Besatzer zu entlasten und die eigentliche Schuld beim jüdischen Establishment anzusiedeln.

Die Zwickmühle, in der sich Pilatus befand, ist allerdings nachvollziehbar für mich. Ein Fall, der ihn eigentlich nicht sonderlich interessiert, wird von verschiedenen Parteien leidenschaftlich verfolgt. Egal wie er entscheidet, es kann Ärger geben. So erklärt er sich als unambitioniert und wäscht seine Hände demonstrativ in Unschuld. Leidenschaftslos vollstreckt er, was andere von ihm fordern.

Doch so einfach ist das nicht. Wer Verantwortung übernimmt, muss sie auch wahrnehmen. Am Ende muss man gerade stehen für das, was geschieht – als Marktleiterin, als Offizier, als Bürgermeisterin – im privaten wie im öffentlichen Leben. Und das gilt auch für mich als Pfarrer.

Es gilt das gesprochene Wort.

01.02.2023
Pfarrer Jörg Machel