Trotz dem alten Drachen

Morgenandacht
Trotz dem alten Drachen
29.04.2021 - 06:35
22.04.2021
Peter Oldenbruch
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum Nachlesen: 

Kommenden Sonntag ist Kantate, der Singe-Sonntag. Singen jedoch ist eingeschränkt. Wegen der hohen Infektionsgefahr in Innenräumen. Dabei sind Gottesdienste so ziemlich der einzig verbliebene Ort, an dem Menschen außerhalb von Gesangvereinen miteinander singen. Im Gottesdienst wird gesungen, bald wieder, hoffentlich. Und man muss nicht mal singen können, wenn man im Gottesdienst singt! Singen berührt ganz anders als eine Predigt oder selbst ein Gebet. Bei bestimmten Chorälen kommen nicht wenigen die Tränen. Singen ist die Muttersprache des Glaubens.
             Einspielung: Jesu meine Freude, MP 3, Nr. 31, Ulrich Bieber (O-Ton, Eigenaufnahme)
„Jesu meine Freude“ würde ich gerne singen kommenden Sonntag! In einem Gottesdienst, am besten mit vielen anderen. Vor allem die dritte Strophe:
„Trotz dem alten Drachen, trotz dem Todesrachen! Trotz der Furcht dazu! Tobe Welt und springe, ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh. Gottes Macht hält mich in acht, Erd und Abgrund muss verstummen, ob sie noch so brummen.“ (EG 396,3)

Trotz dem Todesrachen! Trotz der Furcht dazu! Der Dichter von „Jesu, meine Freude“ war übrigens kein Theologe, sondern Jurist und später Bürgermeister in Guben, heute unmittelbar an der polnischen Grenze. Er dichtete das Lied 1653, also gerade mal fünf Jahre nach dem Ende des 30jährigen Krieges, unter dem seine Heimatstadt Guben massiv gelitten hat. Es war nicht nur dieser immer wieder aufflammende Krieg in seiner Heimatstadt wütete darüber hinaus drei Jahre lang die Pest. 7.000 Menschen fielen der Seuche zum Opfer. Krieg und Pest waren der Hintergrund, auf dem sich Johann Franck seine trotzigen Reime gemacht hat. Die Welt tobt und die Menschen fürchten sich vor dem alten Drachen. Das hatte Johann Franck erlebt. Es war auch offensichtlich. Und Franck leugnet das Offensichtliche nicht. Er will auch nicht „ach wie lang, ach lange ist dem Herzen bange!“ -     er will nicht einfach wieder mal Freude haben und das Leben feiern.
Er ruft Jesus an. Er betet. Er singt. Singend und betend entwickelt er einen glaubenden Trotz. Und Trotz und Trost gehören hier zusammen: „Ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh“, dichtet Franck. Ich lasse mich nicht kirre machen, nicht von Brummen des alten Drachens und auch nicht von meiner eigenen Furcht. Er singt sich in einen Glaubens-Trotz hinein. Natürlich kann ich diese Formulierung nicht ungebrochen übernehmen. Ich muss ein bisschen schmunzeln beim alten Drachen und beim Brummen. Aber ich würde dieses Lied gerne mit anderen singen, laut! Und mich so in diese glaubens-trotzige Haltung hineinschwingen. Bei manchen meiner Mitmenschen und manchmal auch bei mir selbst entdecke ich eine geheime Sympathie mit den täglichen     Schreckensmeldungen. Motto: „Siehst du, hab´ ich doch schon lange gesagt!“ In ihrem Buch „Störfall“ erzählt Christa Wolf von einem Telefonat mit ihrer Freundin nach dem Tschernobyl-Unglück.
Die Freundin fragt, ob sie an sich auch beobachte, dass irgendetwas in ihr „geil sei auf diese bösen Nachrichten jede Stunde? Eine finstere Schadenfreude, gegen uns selbst gerichtet?“ 
Statt die Realität zu verleugnen und erst recht statt finstrer Schadenfreude, gegen mich selbst gerichtet, will ich kommenden Sonntag mit meinem Singe-Freund irgendwo draußen laut singen:
           Einspielung: Jesu meine Freude, MP 3, Nr. 33, Ulrich Bieber
„Trotz dem alten Drachen, trotz dem Todesrachen! Gottes Macht hält mich in acht, Erd und Abgrund muss verstummen, ob sie noch so brummen.“ Meinetwegen kann dabei auch jemand zuhören.
 

Es gilt das gesprochene Wort.


 

22.04.2021
Peter Oldenbruch