Wenn die Kehle eng wird

Morgenandacht
Wenn die Kehle eng wird
10.05.2021 - 06:35
06.05.2021
Angelika Obert
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum Nachlesen: 

Und das Volk murrte gegen Mose. Sieben Mal kommt dieser Satz in der Bibel vor - da, wo von der Wüstenwanderung der Israeliten erzählt wird. Sie hatten auch Grund zu murren: Die Schwierigkeiten türmten sich. Nichts lief, wie erhofft. Mose als Anführer hatte ihnen Freiheit versprochen, gutes Leben und sie hatten ihm geglaubt. Waren auch glücklich der Sklaverei in Ägypten entkommen – aber nun: Kein Ankommen, bloß immer wieder neue Einschränkungen. Mal schmeckte das Wasser nicht, mal gab es kein Brot. Der Ärger auf Mose wuchs. Hatte der denn gar keinen Plan? Hatte er überhaupt eine Ahnung, was er ihnen zumutete? Wie die Kin-der quengelten, die Alten sich quälten? Wie den Heranwachsenden die Lebenszeit gestohlen wurde bei dieser elenden Wanderung durch nichts als Wüste? Zwar, irgendwie ging es doch immer weiter – mit Gottes Hilfe, der in der größten Not dann zuverlässig für ein Wunder sorg-te. Nur das war schnell vergessen in der Mühsal des weiten Wegs. Und die Leute murrten wie-der. Sie fürchteten sich: Wird das je aufhören? Werden wir je ankommen? Das Gerücht ging, im gelobten Land würden nicht nur Milch und Honig auf sie warten, sondern auch gruselige Ungeheuer. Da murrte das Volk erst recht. Aber nun riss nicht Mose, sondern Gott der Ge-duldsfaden: Wenn ihr so wenig Vertrauen habt, dann lass ich euch erst recht nicht rauskom-men, befand er – dann müsst ihr jetzt 40 Jahre in der Wüste bleiben. 

So wird‘s erzählt, altertümlich, legendenhaft im 2. Buch Mose. Wie überhaupt in den Väter-geschichten der Bibel immer wieder davon erzählt wird, dass es sehr lange dauerte, bis Hoff-nungen sich erfüllten. Durst- und Angststrecken gab es für jede und jeden. Nie lief es einfach nach Plan und Wunsch, trotz Gottes Segensversprechen. Sehr viel Geduld war nötig, bis er dann doch kam, der Segen für Abraham, Jakob und Josef – und auch für das murrende Volk. 

Und für uns, die wir doch gelernt haben, fast alles in die eigene Hand zu nehmen, ist es nun in den Monaten der Pandemie auch ganz und gar nicht mehr nach Plan und Wunsch gegangen. Das zerrt an den Nerven, es bedrückt, verärgert, macht wütend und müde. Und der Groll auf die Oberen nimmt zu. Nur dass wir dafür das altmodische Wort ‚Murren‘ nicht mehr gebrau-chen. Auch in den neuen Bibelübersetzungen steht es nicht mehr: Da heißt es: Das Volk ‚rebel-lierte‘ oder ‚das Volk machte Mose Vorwürfe‘ - das klingt natürlich viel rationaler. 

Aber wenn ich an mich selber denke und meine Gefühle in den letzten Monaten, dann gefällt mir das altmodische ‚Murren‘ doch ganz gut. Weil da doch mehr von der eigenen Gestimmt-heit drinsteckt, dem Unmut und der Unwilligkeit in mir selber. Ich bekomme ein wenig Ab-stand zu meinen Gefühlen, wenn ich meinen gereizten Zustand ‚Murren‘ nenne. Denn dann muss ich schon auch lächeln, weil das doch ein komisches Wort ist, so nah am Knurren, so fern vom Schnurren oder Gurren. Und da fällt mir auch auf: Alle diese Worte haben etwas mit Lauten zu tun, die in der Kehle entstehen. Eng wird die Kehle, wenn sie murrt. Sie ist uns wohl allen etwas eng geworden in den langen Monaten mit Maske. Die Kehle:  In der Sprache der Bibel ist sie der Sitz des Lebens, des Atems, der Seele. Wenn sie eng wird, dann verdüs-tert sich das Leben zum Murren. 
Aber was habe ich davon, wenn ich dafür die Oberen in der Politik verantwortlich mache? Es ist doch meine Kehle, meine Seele, mein Atem. Jeden Tag – auch während der langen Durst-strecke. Soll ich mich da dem Murren und der immer enger werdenden Kehle so ganz überlas-sen? Oder wär‘s nicht besser, mich an das Rezept zu halten, das Mascha Kaléko im Exil schrieb, nicht wissend, wie es weitergehen würde – ein Rezept für Krisenzeiten, in dem es am Ende heißt: 
‚Zerreiß deine Pläne. Sei klug / und halte dich an Wunder. / Sie sind lang schon verzeichnet / im großen Plan. /Jage die Ängste fort / und die Angst vor den Ängsten.‘ 
Lass nicht zu, dass deine Kehle immer enger wird.
 

Es gilt das gesprochene Wort.


 

06.05.2021
Angelika Obert