Über Mauern springen?

Morgenandacht
Über Mauern springen?
Morgenandacht von Stephan Krebs
19.08.2019 - 06:35
13.06.2019
Stephan Krebs
Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen

„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ Ein schöner Satz. Macht Mut. Zu finden ist er in der Bibel, im Alten Testament. Psalm 18, Vers 30. Gerne wird er als Konfirmationsspruch gewählt. Oder als Trauspruch. „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ Die Mauern werden dabei psychologisch verstanden: Sie stehen für Barrieren, die sich zwischen einem Paar auftürmen können. Sie sind überwindbar – mit Gottes Hilfe. Der Spruch soll auch Konfirmanden ermutigen: Lasst euch nicht abhalten von den Hürden, auf die ihr im Leben stoßt.

 

Schaut man sich den Psalm als Ganzes an, bleiben einem diese schönen Worte allerdings im Halse stecken. Der komplette Vers heißt nämlich so: „Mit dir kann ich Kriegsvolk zerschlagen und mit meinem Gott über Mauern springen.“ Hier geht es ursprünglich nicht darum, Jugendliche zum Leben oder Paare füreinander zu ermutigen. Hier geht es um Politik. Sogar um Krieg. Der Beter des Psalms lobt Gott für seine Hilfe im Kampf gegen die Feinde. Im weiteren Verlauf redet sich der Psalmbeter regelrecht in einen Blutrausch hinein. Vers 38: „Ich will meinen Feinden nachjagen und sie ergreifen und nicht umkehren, bis ich sie umgebracht habe.“

 

Für diesen Psalm gibt es vermutlich einen realen historischen Hintergrund: einen Kampf um die Stadt Jerusalem. David, zu diesem Zeitpunkt noch ein Söldnerführer, erobert die Stadt. Dann formt er das Königreich Israel mit sich als König. Darunter haben die Bewohner der Stadt erst einmal schrecklich zu leiden, glaubt man den Worten des Psalms. Und das soll mit Hilfe Gottes geschehen sein, dafür hat Gott Davids Armee extra stark gemacht?

 

Militärische Siege werden in der Bibel immer wieder so gedeutet: als Wille Gottes. Das ist verstörend, aber es ist so: Eine grausame Blutspur zieht sich durch die Bibel. Und über sie hinaus.

 

„Gott will es.“ Mit diesem Satz ruft Papst Urban im Jahr 1095 die Christen auf, Jerusalem von den Muslimen zu erobern. Damit beginnen die Kreuzzüge. Hunderttausende folgen dem Ruf. Manche empfinden dabei sicher eine ehrliche religiöse Überzeugung. Aber viele nutzen diese Kriege im Zeichen des Kreuzes nur als willkommenes Deckmäntelchen für ihre eigenen Interessen:

Am Ende erobern sie Jerusalem. Mit blutigen Massakern an den Bewohnern. Dabei erschlagen sie auch einheimische Christen. Die Ritter haben keine Ahnung, wer diese Leute sind. In ihren ortsüblichen Gewändern sehen sie alle gleich aus. Und in gewisser Weise sind sie es ja auch.

 

Gott will es? Hier wird Gott instrumentalisiert, hier werden Menschen manipuliert. Das geschieht bis heute und nicht nur in der Geschichte der Christenheit. Kein Wunder: Alle haben Gott gerne auf ihrer Seite. Das reicht von der Politik über den Sport bis zu manchen Gebeten im Gottesdienst. Man schiebt die eigenen Wünsche Gott unter. Derartigen Missbrauch Gottes dokumentiert schon die Bibel vielfach.

 

Der Glaube, diese Sehnsucht nach Sinn, lässt sich missbrauchen. Und es ist eine große Versuchung, das auch zu tun. Damit kann man die eigene Sache überhöhen, sie immun machen gegen Kritik, auch gegen Selbstkritik. Deshalb müssen alle, die von Gott reden, sehr misstrauisch sein – insbesondere gegenüber sich selbst. Sie müssen sich immer wieder prüfen: Versuche ich gerade Gott zu instrumentalisieren, ihn für eigene Interessen zu missbrauchen?

 

Ein einfaches Kriterium kann helfen. Jesus bietet dafür einen Kernsatz des Alten Testaments an: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Mit diesem Satz vor Augen will man keine Schlacht gewinnen. Man sucht andere Wege, um Konflikte zu lösen. Mit diesem Satz im Hinterkopf setzt man sich ganz andere Ziele. Und vielleicht kann man dann sogar tatsächlich mit Gottes Hilfe über Mauern springen. Denn eines stimmt ja an diesem schönen Satz: Menschen, die auf Gott vertrauen, können ungeahnte Kräfte entwickeln.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.06.2019
Stephan Krebs