Versöhnung – wie geht das?

Morgenandacht
Versöhnung – wie geht das?
11.03.2017 - 06:35
04.03.2017
Pfarrerin Annette Bassler

Wie kann man sich miteinander versöhnen? Wenn man sich jahrelang missachtet, verletzt, ja sogar bekriegt hat? Heute laden der Ratsvorsitzende der EKD und der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz nach Hildesheim ein. Und in allen Regionen tun es ihnen Kirchenpräsidenten und Bischöfe gleich. Um Gottesdienste der Versöhnung zu feiern.

 

Die Kirchen haben sich nämlich seit 500 Jahren gegenseitig missachtet, verletzt, ja sogar bekriegt. Wir Evangelische feiern 500 Jahre Reformation und wir erinnern uns an 500 Jahre Kirchenspaltung und Glaubenskriege. In den letzten Jahrzehnten ist die ökumenische Gemeinschaft gewachsen und viele sagen: 500 Jahre Streit sind dann auch mal genug.

 

Aber Versöhnung – das ist schon ein großes Wort. Und schon im Alltag nicht so einfach. Da gilt ja die Regel: Wenn du deinen Partner beleidigst oder missachtest, dann solltest du dich möglichst schnell entschuldigen. Passiert dir dasselbe zum zweiten Mal, ist das mit der Entschuldigung schon schwieriger. Und beim dritten Fehltritt in derselben Sache reicht deine bloße Entschuldigung nicht mehr aus. Dann musst du was tun. Eine Art Wiedergutmachung. Vielleicht, wenn du in der nächsten Zeit mehr Hausarbeit übernimmst oder deinen Partner mit etwas Schönem überraschst.

 

Bei der Versöhnung geht es immer auch darum, das Vertrauen wiederherzustellen. Je öfter eine Verletzung passiert ist, desto mehr braucht es, um das Netz des Vertrauens wieder zu flicken.

 

Manchmal ist dieses Netz so zerrissen, dass eine Trennung leichter erscheint. Versöhnung funktioniert ja nicht nach dem Motto „Schwamm drüber“. Vielleicht kann man manches vergessen, aber die Wunden, die die Verletzungen geschlagen haben, die sind ja noch da. Und oft tun sie schon weh, wenn man in ihre Nähe kommt. Warum also sollten wir uns auf einen Prozess der Versöhnung einlassen?

 

Das haben sich die christlichen Kirchen auch gefragt und gesagt: Wir leben jeden Tag davon, dass Gott uns liebt und vergibt. Wir leben jeden Tag davon, dass wir eine neue Chance bekommen. Auch wenn wir Andere, uns selbst oder Gott verletzt haben. Deshalb sind wir dazu berufen, auch anderen zu vergeben. Und wie oft? Haben die Jünger Jesu gefragt, wohl wissend, dass das anstrengend ist und wehtun kann. Gibt’s da eine Obergrenze für Versöhnung? Sieben mal? Nein, meint Jesus. Siebzigmal siebenmal (Mt 18,22). Es gibt keine Obergrenze. Vergeben ist die zweite Natur von Christenmenschen.

 

Deshalb feiern die christlichen Kirchen heute und morgen Versöhnungsgottesdienste. Sie nennen sie „Healing of memories“- Gottesdienste.

 

Es geht um die Heilung der Erinnerungen. Wir können unsere Geschichte nicht rückgängig machen. Aber wir können uns unsere Geschichten erzählen. Unsere Verletzungsgeschichten. Wir können unsere gemeinsame Erinnerungslandschaft betreten und dabei in den Schuhen des Anderen laufen. Wie hat der Andere sich gefühlt, als ich ihn verletzt habe? Was hat er gehört, gesehen? Was hat er gelitten?

Erinnerungen müssen nicht Quelle von Leid und Schmerz bleiben. Sie können zu einem Ort der Heilung werden. Wenn man sich dort mit vertauschten Rollen und mit Verständnis begegnet. Dann werden sie zu „Healing Memories“. Wenn ich durch die Erinnerungslandschaft meiner Verwundungen laufe, dann brauche ich dazu auch das Gefühl, dass Gott mich dabei begleitet. Es hilft mir zu wissen: egal was war, Gott liebt mich und will, dass ich frei werde. Frei und offen für neue Begegnungen. Es hilft mir zu wissen, dass Gott auch den liebt, mit dem ich meine große Mühe habe. Und dass auch der, der mich verletzt hat, ein Recht auf Versöhnung hat.

 

An diesem Wochenende beten die Kirchen um ihre Einheit. Weil sie zur Versöhnung berufen sind. Nicht mehr und nicht weniger.

04.03.2017
Pfarrerin Annette Bassler