Widersprechen - und Hören

Morgenandacht

Gemeinfrei via unsplash/ Foto Pettine

Widersprechen - und Hören
17.02.2022 - 06:35
28.01.2022
Eberhard Hadem
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Meine Frau sagt zu mir: „Immer, wenn wir etwas ausdiskutieren wollen, kommt irgendwann der Moment, da schweigst du nur noch.“ „Na ja“, sage ich zu meiner Frau: „Weil du immer das letzte Wort haben musst!“ Daraufhin meine Frau: „Woher soll ich wissen, dass du nix mehr zu sagen hast?“

Das ist keine so ganz befriedigende Situation für mich. Und für meine Frau wohl auch nicht. Manche meinen, das sei in Beziehungen schon immer so, seit Adam und Eva. Tatsächlich gibt es eine jüdische Weisheit, in der wird gefragt, warum Eva eigentlich geschaffen wurde. Zugegeben, für moderne Ohren klingt die Frage chauvinistisch, als ob es eine besondere Begründung für die Existenz der Frau bräuchte. Die Weisheit antwortet aber recht lakonisch: ‚Damit Eva dem Adam widerspreche.‘ Na prima, denke ich. Ist das also im Prinzip schon immer so. Lateinisch ‚in principium‘ heißt auf Deutsch: Im Anfang, also schon in der Urgeschichte, bei Adam und Eva, im Paradies. Mir ist natürlich klar – dieselbe Logik muss auch für den Adam gelten. Er ist da, damit er seiner Eva widerspreche. Eva wie Adam – das ist der Mensch an sich. Aber was ist mit solcher Erkenntnis gewonnen? Das Widersprechen allein bedeutet ja nicht, dass Menschen sich verstehen. Da fehlt noch etwas.

Der Satz der jüdischen Weisheit ist auch noch nicht zu Ende. Er lautet vollständig: ‚Damit Eva dem Adam widerspreche – und ihn höre.‘ Wer dem anderen zuhört, kann auch widersprechen. Und nur wer gehört wird, ist auch selber bereit, Widerspruch anzuhören. So gesehen schärfen Hören und Widersprechen den Blick und das Ohr und damit auch das Einander-Verstehen. Hören und Widersprechen lassen Raum und Freiheit, in jeder Beziehung.

Das ist es, was ich an einer Beziehung als Institution so gut finde. Sie macht frei. Weil sie die Entscheidung für eine Lebensform mit einem Partner oder einer Partnerin ist. Das klingt nüchtern, birgt aber viele Emotionen. Natürlich kann jede Liebesbeziehung in offenen, in anderen Formen gelebt werden. So geschieht es ja auch. Da kann und will ich keine diskreditieren. Liebe, egal in welcher festen Beziehung, ist immer ein Versprechen, ein Wagnis. Sie ist immer wieder bereit, neu zu beginnen. Sie braucht dafür etwas, was die jüdische Philosophin Hannah Arendt mit ‚kommunikativer Freiheit‘ bezeichnet hat. Für mich ist die Ehe eine solche Beziehung, in der ich diese Freiheit leben und lernen kann, verantwortungsvoll mit ihr umzugehen. Damit ist Partnerschaft sogar eine Art Trainingsplatz für alles, was im politischen und gesellschaftlichen Miteinander geschieht. Damit ich nicht einfach aufgebe und verschwinde, sondern mit dem anderen einen neuen Anfang suche.

In einer Talkshow erzählt ein Schauspielerehepaar von ihren über 50 Jahren Ehe. Neben ihnen sitzt eine junge Berliner Rapperin und sagt: „In meiner Generation sagt man sehr schnell: ‚Das passt nicht mehr zwischen uns. Ich geh.‘ Ihr habt das anders gemacht.“ Sich gegenseitig an Erfahrungen teilhaben lassen, lohnt sich. Auch über Generationen hinweg.

Immer wieder miteinander anfangen, gemeinsam neu beginnen, diese Freiheit trainiere und übe ich ja nicht nur als Ehemann, sondern auch als Bürger im Gemeinwesen. In dem so viele dünnhäutig geworden sind in der Pandemie. Widersprechen und hören, darum geht es auch im öffentlichen Leben. Mehr denn je fehlt dieser Langmut, die Ausdauer, miteinander im Gespräch zu bleiben.

In der Bibel heißt es: Die Liebe deckt die Menge der Sünden zu (Spr. 10,12 und 1. Petr. 4,8). Es kommt vor, dass meine Frau besonders betont meinen Namen ausspricht, und ich denke: Jetzt kommt Widerspruch, und sage schnell und ernsthaft: ‚Ich höre‘. Da sieht sie mich an, schweigt und lächelt. Küsst mich – und ich weiß wieder: Hören und Widersprechen, beides gehört zur Liebe.

Es gilt das gesprochene Wort.

28.01.2022
Eberhard Hadem