Edith

Wort zum Tage

Gemeinfrei via Unsplash/ Danie Franco

Edith
mit Steffen Madloch
16.11.2021 - 06:20
15.09.2021
Steffen Madloch
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100 Jahre; Bienenstich; Gottvertrauen – vor 18 Jahren haben wir uns kennengelernt. Edith und ich. Sie 82 und ich Anfang 30. Ich kam neu als Pfarrer in die Gemeinde und lernte Edith als eine bemerkenswerte Frau kennen. Interessiert, witzig, offen für Neues und engagiert. Und ihr wunderbarer Bienenstich … „Ach, diesmal ist er mir nicht richtig gelungen.“ Das hat sie eigentlich jedes Mal gesagt. Und er war köstlich, jedes Mal. Edith, eine tolle alte Dame. Nach einigen Jahren, wir waren immer beim Sie, fragte sie mich in der Küche unseres Gemeindehauses, ob wir nicht Du zueinander sagen wollten. „Alle sagen doch Steffen.“ „Sehr gern“, sagte ich - doch, ganz ehrlich – ich hätte mich nicht getraut selbst zu fragen. Und seitdem kann ich mir Edith nur noch als Edith vorstellen.

Befiehl du deine Wege … das, so vertraute mir es Edith an, sei ihr Lieblingslied. „Ich kann ja nicht singen, aber ich finde es schön, wenn andere singen.“ Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt, der allertreusten Pflege, des der den Himmel lenkt.

Edith hat lange allein gelebt, ihr Mann war bereits Mitte der 80iger Jahre verstorben. Unsere Gemeinde ist ihr zu Hause. Und bei Ausflügen, Feiern oder Familienrüstzeiten ist sie immer dabei. „Bin ich dafür nicht zu alt? Aber ich würde schon gern mitfahren…!“ „Edith – du bist immer willkommen und eine Bereicherung!“

In diesem Jahr musste sie ihre Wohnung hinter sich lassen – die Demenz wurde zu stark und ihr Alltag immer eingeschränkter. Im Seniorenzentrum, mitten im Ort, ist sie seitdem zu Hause. „Schlafe ich heute hier?“ „Ja, du hast gestern auch schon hier geschlafen und du hast gut geschlafen.“ „Na dann ist ja gut.“ Regelmäßig sehen wir uns bei den Gottesdiensten im Haus. „Oh Steffen, es ist schön dich zu sehen.“ „Ich komme nachher noch zu dir, da haben wir noch Zeit zum Reden.“ sage ich. „Oh, da freue ich mich aber.“

Nach dem Gottesdienst gehe ich zu Edith. Sie sitzt am Fenster und dreht sich zu mir um. „Das ist aber schön, dass du kommst, mit dir habe ich heute gar nicht gerechnet.“ Ich nehme sie in den Arm. „Na, dann ist die Überraschung ja gelungen.“ Vor einigen Wochen ist Edith 100 Jahre alt geworden. „100 Jahre soll ich alt sein? Du willst mich veräppeln“, sagt sie in ihrer verschmitzten Art. „Doch, du bist 100.“ „Dann bin ich ja nicht alt, sondern uralt!“ – und sie lacht.

Befiehl du deine Wege haben wir gesungen und – Für mich soll’s rote Rosen regnen. Für mich soll’s rote Rosen regnen. Mir sollten sämtliche Wunder begegnen. Das Glück sollte sich sanft verhalten. Es soll mein Schicksal mit Liebe verwalten.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

15.09.2021
Steffen Madloch