Ich war in einer Gegend unterwegs, in der es zum guten Ton gehört, Anhalter mitzunehmen, weil der öffentliche Nahverkehr nur sehr spärlich funktioniert. Am Straßenrand stand ein Mann, Ende 20, und ich ließ ihn einsteigen. Wir kamen ins Gespräch, und bald fragte er nach meinem Beruf. Ich sagte, dass ich Pastor bin. Das brachte meinen Fahrgast beinahe in Rage. Von Kirchen und vom Glauben, so sagte er, halte er nicht viel. Ich fragte nach seinen Gründen. „Ihr seid einfach weltfremd. Ihr habt keine Ahnung von dem, was da draußen vor sich geht. Ihr gebt vorgefertigte Antworten auf Fragen, die kein Mensch euch stellt.“, erzählte er mir.
Ich fragte, welche Antworten er denn meinte, aber er ging darauf nicht ein. „Euch fehlen die Fragen, und ihr erfindet sie einfach selbst und wundert euch dann, dass kaum jemand kommt, um eurem autistischen Frage- und Antwortspiel zu lauschen.“ Ich dachte: Kollege, woher hast du eigentlich deine Weisheit? Deshalb fragte ich ihn: „Du weißt aber wirklich Bescheid. Sag mal, dann warst du sicher öfter mal in der Kirche?“ Er schwieg eine Weile, dann gab er zu: „Das letzte Mal – ja – ich glaube, das war bei meiner Konfirmation.“ Ich musste innerlich grinsen. Das ist ja das Kennzeichen von Vorurteilen, dass man keine Ahnung von der Wirklichkeit hat und sie sich so zurechtzimmert, wie man sie gern hätte.
Ich sagte: „Das ist doch schon mindestens 15 Jahre her!“ – „13 Jahre!“ sagte er. „Und das hast du damals so erlebt? Und du kannst dir nicht vorstellen, dass sich seitdem etwas geändert hat in der Kirche? Dann empfehle ich dir: geh doch mal wieder hin und prüfe selbst, ob es noch so ist. Und wenn du das erlebst, dass du nur Antworten ohne Fragen hörst, dann stell doch den Pfarrer und frage ihn. Und wenn du meinst, er sagt dir nur vorgefertigte Antworten, lass nicht locker, bis seine Fassade zerbröselt und der glaubende und zweifelnde Mensch dahinter zum Vorschein kommt. So einer steckt nämlich meistens unter einem Talar! Dabei könntest du erleben, wenn du ihn so in Frage stellst, dass er sich wandelt. Und aus jemandem, der scheinbar alle Antworten schon weiß, wird einer, der selbst anfängt, Fragen zu stellen. Dann seid ihr immerhin schon zwei, die sich auf den Weg machen, die richtigen Fragen zu stellen; und diese Gemeinschaft der Fragenden ist vielleicht hilfreicher als jede Antwort. Die christliche Gemeinde jedenfalls ist immer auch eine Gemeinschaft derer, die nicht fertig werden mit der Welt und nicht aufhören, nach dem Woher und Wohin der Dinge und Ereignisse zu fragen.“
Der Anhalter sagte nur noch: „Können Sie bitte anhalten? Ich muss jetzt aussteigen.“