Der Tag danach

Wort zum Tage
Der Tag danach
09.05.2020 - 06:20
30.01.2020
Kathrin Oxen
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Am Mittwoch war dann endlich Frieden. Spät am Abend des 8. Mai 1945, einem Dienstag, wurde der Zweite Weltkrieg beendet. Die Kapitulationserklärung war tags zuvor in Frankreich unterzeichnet worden. Wie um ganz sicherzugehen, dass Deutschland wirklich besiegt war, drängte Josef Stalin darauf, die Zeremonie im sowjetischen Machtbereich in Berlin-Karlshorst noch einmal zu wiederholen. So wurde der Krieg zweimal beendet.

Doch das kalendarische war nicht das „gefühlte“ Kriegsende. In vielen vom Krieg betroffenen Gebieten Europas, besonders im Osten, erreichte die Nachricht die Menschen gar nicht offiziell. Für andere war das Ende des Krieges der Weg in die Gefangenschaft - auf beiden Seiten übrigens. Heimkehrende russische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter wurden wegen des Vorwurfs der Kollaboration zu erneuter Haft im russischen Gulag verurteilt. Und erst 1955 kehrten die letzten deutschen Kriegsgefangenen zurück. Ich weiß das alles aus Büchern. Aber wie es sich angefühlt hat, habe ich erst durch den Bericht eines Zeitzeugen verstanden, der bei Kriegsende ein Flüchtlingskind im ländlichen Schleswig-Holstein war. Er schreibt in seinen Erinnerungen:

„Viele Jahre ging unsere Mutter erst nach Mitternacht ins Bett, nämlich dann, wenn der letzte Zug sich nach seinem Halt in Neukirchen wieder lärmend in Richtung Heiligenhafen in Bewegung setzte. Sein Pfeifen war immer in Meschendorf zu hören. Für Mutter war es das Signal, noch eine halbe Stunde wach zu bleiben, denn solange würde unser Vater benötigen, um die drei Kilometer vom Bahnhof bis zu uns zurückzulegen.

1955 schöpfte unsere Mutter noch einmal Hoffnung, dass unser Vater doch noch nach Hause kommen könnte. Konrad Adenauer flog in diesem Jahr nach Moskau und bat um die Freilassung aller noch in der Sowjetunion festgehaltenen deutschen Soldaten. Unzählige Gefangene traten ihre Reise aus der Gefangenschaft nach Hause an. Wer allerdings nicht nach Hause kam, das war unser Vater. (…) Unsere Mutter wurde 79 Jahre alt. Am 14. Juni 1987 starb sie während der Nacht - einsam und ohne Hoffnung. Ihr Traum hat sich nicht mehr erfüllt.“

„Jedes Vorhaben hat seine Zeit und sein Gericht und keiner bleibt verschont im Krieg“, steht in der Bibel im Buch Prediger. Wann ein Krieg beginnt, lässt sich sagen. Aber nicht, wann er für einen Menschen endet.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

30.01.2020
Kathrin Oxen