Ein Haus für alle

Wort zum Tage
Ein Haus für alle
01.10.2015 - 06:23
25.06.2015
Pfarrerin Johanna Friese

Hinter der alten knorrigen Dorfeiche im mecklenburgischen Welzin steht ein verfallenes Gutshaus. Jahrelang stand es leer, altes Fachwerk, von Efeu bewachsen. Neben dem Haus sehe ich sieben bunt angestrichene Bauwagen und eine selbst gebaute Küchenhütte fürs gemeinsame Essen. Clara ist schon zum 13. Mal hier. Gemeinsam mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen aus Berlin. Urlaub heißt für sie: Denken, Bauen, Selbermachen. Wenn Sie zu ihren Bauwochen hierherkommen, fragen sie sich zuerst: Was brauchen wir jetzt zum Leben? Dann geht es los. Eine einfaches Klohäuschen, eine Seilbahn für das Baumhaus, oder vielleicht einen Brotbackofen mauern.

 

Auch im Obst- und Gemüsegarten wartet immer viel Arbeit. Clara stellt die Schaufel hin und sagt: „Ich möchte mich nicht anstrengen für etwas, das nutzlos oder sinnlos ist, sondern einfach etwas machen, was später noch Bestand hat, das ist einfach cool.“ Actiontouren für Kinder und Jugendliche nennen drei Berliner Kirchengemeinden ihr Konzept. In den ersten Jahren machten sie Erlebnis-Fahrten zu biblischen Themen und fuhren in Häuser überall im Bundesgebiet. Dann haben sie in Welzin den verlassenen Hof entdeckt. Einen Ort, wo Erwachsene und Kinder zusammen leben und lernen. Mit Kopf, Herz und Hand. So soll der christliche Glaube im Alltag erfahrbar werden. Weit weg von Konsum und Leistungsdruck. Und ganz alltägliche Dinge erscheinen hier plötzlich in einem neuen Licht.

 

Der 11-jährige Justus hat auf dem Bahnhof seinen Rucksack stehen lassen und muss sich nun drum kümmern. Normalerweise fahren ihn seine Eltern überall hin. Lena lernt hier Kartoffeln schälen und selbst Apfelmus einzukochen – zu Hause soll sie scharfe Messer lieber nicht benutzen. Mitfahren und eigene Erfahrungen machen darf hier jeder. An fehlendem Geld soll es nicht scheitern. So kommen Kinder und Erwachsene, Mädchen und Jungen zusammen, die sich sonst nicht treffen würden. Jeder merkt hier: Du hast einen Platz. Die jugendlichen Betreuer passen auf, dass alle achtsam miteinander umgehen. Viele von ihnen sind früher als Kinder selbst schon auf den Bauwochen mit dabei gewesen, jetzt übernehmen sie mehr Verantwortung. Sie zeigen den Jüngeren, wie sie eine Säge benutzen oder Eichenbalken anstreichen sollen. Beim Werkeln am Haus und auf dem Grundstück, wenn sie miteinander reden, lachen und abends unterm Sternenhimmel singen, dann werden sie eine Gemeinschaft. Und längst sind sie nicht mehr die Berliner, die hier auf dem Land Urlaub machen, und bald wieder weg sind, sondern sie sind den Dorfbewohnern Nachbarn geworden. Vielleicht wird aus ihrem Gutshaus in Welzin in 20 Jahren eine gemütliche Herberge für alle. Andere werden dann hierher kommen und weitermachen.

25.06.2015
Pfarrerin Johanna Friese