Gerechtigkeit zahlt sich aus

Wort zum Tage
Gerechtigkeit zahlt sich aus
21.07.2015 - 06:23
23.06.2015
Pfarrer Rainer Stuhlmann

Bevor die Olivenbäume Ende Oktober in unserem Dorf Nes Ammim im Norden Israels geerntet werden, sind wir bei Jusseph, dem langjährigen palästinensischen Nachbarn, zum Auftakt der gemeinsamen Ernte eingeladen. (Olivenernte ist nicht nur Oliven Pflücken. Das ist auch Essen und Trinken in arabischer Gastfreundschaft.) Ungewöhnlich ist es, dass Jusseph einen christlichen Pastor bittet, den Segen zu sprechen, bevor die Ernte beginnt. So las ich als Christ den Segenspsalm aus der jüdischen Bibel (Psalm 65) für die Oliven der muslimischen Familie.

 

Unsere alljährliche Erntehilfe ist für Jusseph und seine Familie auch ein Akt der Solidarität. Jussephs Eltern und Großeltern sind im Juli 1948 aus Dörfern vertrieben worden, die von jüdischen Truppen zerstört wurden. Die Ernten auf dem wasserreichen fruchtbaren Boden seiner Großeltern fahren heute jüdische Kibbuzim ein. Eine Entschädigung hat es für seine Familie nie gegeben. Aber das hat ihn nicht bitter gemacht. Er sinnt nicht auf Revanche. Er möchte trotz allem mit den Juden in seinem Lande in Frieden leben.

 

Er traut als Muslim dem Einen Gott, von dem es in Koran und Bibel heißt: „Gott wird einem jeden seine Gerechtigkeit und Treue vergelten.“ (1. Samuel 26,23) Auch wenn alles dagegen spricht und noch nichts von der Erfüllung dieses Versprechens sichtbar ist.

 

Jusseph ist kein Landwirt, sondern Lehrer. Gerade deshalb hat es ihn getrieben, ein Stück Land zu kaufen,  um Oliven- und Obstbäume  anzupflanzen. Ein symbolischer Akt. Ein pädagogischer Akt für seine drei Kinder und deren Generation. Sie sollen im praktischen Vollzug die Wachstumskraft der Erde und darin den Segen des Schöpfers kennenlernen, an den Juden, Christen und Muslime glauben und der sie zu friedlichem Zusammenleben auffordert. Und damit ist dieses kleine Stück Land mit seiner alljährlichen Olivenernte auch für uns Europäer ein wichtiger Lernort.

 

Gerechtigkeit und Treue zahlen sich aus. Diesem Leitsatz folgen auch die Bewohner unseres jüdischen Nachbardorfes Regba, das vor siebzig Jahren neben einem unzerstörten palästinensischen Dorf errichtet wurde. Mitten in diesem modernen jüdischen Dorf stehen ein paar Jahrhunderte alte Olivenbäume. Die Juden rühren sie nicht an. Alle Jahre wieder laden sie die Palästinenser aus ihrem Nachbardorf Mazra‘a zur Ernte ein. Damit schärfen sie ihren Kindern ein: bevor wir ins Land kamen, haben hier schon andere gelebt, die diese Bäume gepflanzt und geerntet haben. Mit ihnen wollen wir in Frieden und Gerechtigkeit leben.

 

Ein Zeichen der Hoffnung dafür, dass allem Unrecht zum Trotz die Wachstumskraft der Erde den kommenden Generationen den Weg weist zu einem Leben in Frieden und Gerechtigkeit.

23.06.2015
Pfarrer Rainer Stuhlmann