Indirekte Zärtlichkeit

Wort zum Tage

Gemeinfrei via Unsplash/ Fernand De Canne

Indirekte Zärtlichkeit
von Pfarrer Eberhard Hadem
21.02.2023 - 06:20
29.01.2023
Eberhard Hadem
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Nicht nur Menschen verkleiden sich und tragen Masken. Auch die Liebe tut es, oft trägt sie Masken und Kostüme. ‚Hast du genügend Taschentücher dabei?‘ hat meine Mutter mich als Schulkind jeden Morgen gefragt. Eine der typischen Fragen halt. Die Schriftstellerin Hertha Müller berichtet das Gleiche. Ihre Mutter fragte jeden Morgen: ‚Hast du ein Taschentuch dabei?‘ In ihrer Nobelpreisrede vom 7. Dezember 2009 sagt Herta Müller: Die Liebe hat sich als Frage verkleidet. Das Taschentuch war der Beweis, dass die Mutter mich am Morgen behütet. (…) Die Frage ‚Hast du ein Taschentuch dabei?‘ war eine indirekte Zärtlichkeit.

Die Liebe kann sich zum Beispiel in eine wunderschöne Abendrobe kleiden: Wenn jemand eine besondere Liebeserklärung macht. Manchmal erscheint die Liebe aber auch nur in Mausgrau und sagt: ‚Hast du dein Taschentuch dabei?‘ Wichtig ist nur, darauf zu achten und hinzuhören. Wie war das? Indirekte Zärtlichkeit. Ja.

Denn auch wenn die Liebe nicht immer ihr wahres Gesicht zeigt – sie ist immer da. Ganz ähnlich ist das auch mit der Liebe Gottes. Ich erkenne sie nicht immer. In der Bibel (1. Kor. 13, 12) heißt es einmal: Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht, jetzt erkenne ich stückweise. Ich verstehe es so: Wir blicken wie in einen Spiegel und sehen ein dunkles Bild. Aber eines Tages werden wir Gott sehen. Von Angesicht zu Angesicht. Und dann wird die Liebe keine Maske mehr tragen.

Es wäre die Mühe wert, dass ich mich selber frage: In welchen Masken und Verkleidungen ist mir die Liebe Gottes schon begegnet? Ein Professor, den ich sehr schätze, hat mir mal erzählt, wie er während einer langen schmerzvollen Krankheit eines Morgens erwacht sei, und in der Morgenstille draußen die Vögel singen gehört habe. Und ihm sei es so vorgekommen, als würden diese nur für ihn jubilieren und tirilieren. Das habe ihn mit einer so großen Dankbarkeit erfüllt, dass er seine Schmerzen für eine Weile nicht mehr gespürt habe. Seitdem bin ich auch für die kleinsten Liebeserweise Gottes dankbar, sagte er. Ein Satz zum Mitnehmen.

Heute noch mal Maske tragen, im Kostüm losziehen – morgen ist die fünfte Jahreszeit vorbei. Die Liebe verkleidet sich auch an den anderen Tagen des Jahres. Auch die Gottesliebe. Oft blicke ich wie in einen dunklen Spiegel. Manchmal entdecke ich vielleicht nur kleinste Liebeserweise, indirekte Zärtlichkeit. Auch wenn ich die Liebe Gottes nicht sehe, so bin ich in sie gehüllt. Auch im dunklen Tal und in dunkler Nacht.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

29.01.2023
Eberhard Hadem