Das Wort zum Sonntag: "Gewalt"

Das Wort zum Sonntag: "Gewalt"
Pfarrer Ulrich Haag
27.08.2011 - 21:25

Lange war es nur Berlin. Jetzt brennen Autos auch in anderen Städten. Wer macht sowas? Sicher ist nur eines: Wann immer wir uns vorstellen, was da geschieht, sehen wir junge Männer am Werk, nicht Frauen.
Feiglinge sind das, wollen Fachleute herausgefunden haben, Feiglinge, die bislang nichts Ordentliches auf die Beine gestellt haben. Die mal die Puppen tanzen lassen wollen: Die Feuerwehr rückt an, die Polizei, die Presse. Wie auch immer: Die Taten sind verbrecherisch. Sie gehören verurteilt.

Zugleich müssen wir sie als Anfrage verstehen: Bietet unsere Gesellschaft jungen Männern genügend Gelegenheit, um offen zu zeigen, was in ihnen steckt? Vermittelt sie ihnen in ausreichendem Maße: Ihr werdet gebraucht, ihr werdet als Männer gebraucht? Autos reparieren? Können Mädchen auch. Fußballweltmeister werden – können auch Frauen. Vor 100 Jahren galt es als selbstverständlich: Frauen gehören nicht in die Politik. Heute haben wir eine Bundeskanzlerin. Frauen gehören nicht hinter den Altar. Heute haben wir Bischöfinnen. Bis vor wenigen Monaten war wenigstens klar, dass nur junge Männer unter die Wehrpflicht fallen und mit der Waffe kämpfen. Die Wehrpflicht ist abgeschafft. Was erwartet diese Gesellschaft noch von ihren jungen Männern?

Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. Zum Bilde Gottes schuf er sie. Er schuf sie als Mann und Frau. Er schuf sie in Beziehung zu einander. Empfängt eines von beiden die Botschaft, du wirst nicht gebraucht, ist das eine tiefe Kränkung. Von dieser Kränkung wissen Frauen ein Lied zu singen. Beinahe die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch wurden sie von der gesellschaftlichen Verantwortung ausgeschlossen. Und solange man sie mit der Lupe suchen muss, wenn man die Chefetagen Deutscher Top-Unternehmen betritt, ist von dieser Kränkung noch einiges übrig. Doch am anderen Ende der Skala sind es längst junge Männer, die darum kämpfen, gebraucht zu werden. Die immer wieder die Botschaft empfangen, es geht auch ohne dich.

Die damit verbundene Kränkung bricht sich Bahn und sucht nach Ausgleich. Zum Beispiel in einem übertriebenen Macho-Gehabe. In einer zurückkehrenden, religiös verbrämten Unterdrückung der Frau. Vor allem sucht sie nach Ausgleich in Form von körperlicher Gewalt. Das ist das Terrain, auf dem sich Männer sicher fühlen: Der Kampf, der Krieg gegen den vermeintlichen Feind, die Zerstörung von etwas, was in ihren Augen zerstört gehört.

In manchen europäischen Städten bricht die Gewalt mittlerweile offen aus. In anderen zeigt sie sich durch angepasstes Verhalten bei Tag. Und durch den ganz privaten Terror bei Nacht.

Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. Er schuf sie als Mann und Frau. Lange haben wir unsere Aufmerksamkeit darauf verwendet, dass Mädchen und Frauen einen Platz in unserer Gesellschaft erobern.
Heute haben sie eine große Bandbreite an Lebensmöglichkeiten zur Verfügung. Gut so.

Nun ist es an der Zeit, auf die Jungs und jungen Männer zu achten. Sie brauchen Väter in der Erziehung, es geht nicht ohne. Sie brauchen männliche Lehrer, an denen sie sich auch körperlich abarbeiten können.
Sie brauchen eine Lehrstelle und die Aussicht übernommen zu werden. Sie brauchen die Perspektive: Mit 25 kannst du mit dem Menschen den du liebst, eine Familie gründen. Sie warten auf die unmissverständliche Botschaft: Es geht nicht ohne dich. Auf solch einen Satz wartet im Grunde jeder. Manchmal genau die, von denen man annimmt, dass sie eigentlich alleine für sich sorgen können.

Ihnen allen einen guten Abend und einen gesegneten Sonntag.