Gemeinfrei via Unsplash/ Eduardo Barrios
Margarete, Martha und ich
Alte Frauen in der Kirche
03.09.2023 08:35
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„Wie Du frech, wild und wunderbar jung bleibst“- so heißt die Facebookgruppe, in der ich seit ein paar Wochen Mitglied bin. Es ist eine Frauengruppe, die meisten hier sind über 60, und es macht Spaß zu sehen, wie rasant sie wächst. „In einer Woche werde ich 73“, schreibt Helga. „Habe die Zahl mal umgedreht: 37. In dem Alter bin ich gerade mittellos, ohne Netz und doppelten Boden, mit zwei kleinen Töchtern aus Algerien im Ruhgebiet gelandet-Meine Ehe steuerte dem Ende zu und ein soziales Umfeld ließ sich nicht einfach aus dem Boden stampfen. Mit unerschütterlichem Optimismus glaubte ich daran, dass alles besser werden würde… Jetzt, mit 73, genieße ich die Leichtigkeit des Seins mit unendlicher Dankbarkeit. Habe mich durchgeboxt und die Arme geöffnet und ausgebreitet fürs Glück.“ Das ist der Grundton, den ich auch bei vielen anderen in der Gruppe finde: Happy aging statt anti-aging.

Schauspielerinnen beklagen seit langem, dass sie mit dem Älterwerden von der Leinwand und vom Bildschirm verschwinden. Während Männer mit silbernen Schläfen in den besten Jahren sind, werden Frauen im gleichen Alter unsichtbar. Sie werden einfach nicht mehr besetzt. Oder stimmt das gar nicht mehr? Ein Forschungsprojekt der Goethe-Universität in Frankfurt untersucht jetzt dieses Phänomen, das "Aging out" genannt wird. Der Frankfurter Filmwissenschaftler Vinzenz Hediger hat sich über 400 Filme vorgenommen. In allen spielen starke Frauen ab 60 Jahren die Hauptrolle- Catherine Deneuve zum Beispiel, Isabelle Huppert, Iris Berben oder Hannelore Elsner. Hedigers These: Da das Publikum immer älter werde, reagiere die europäische Kino-Industrie auf den demographischen Wandel mit Filmen übers Altwerden, über Liebe und Sex im Alter.

Ist es also endlich vorbei mit der Diskriminierung Älterer? Leider nein. Eine Studie der Antidiskriminierungsbeauftragten der Bundesregierung , Ferda Ataman, aus dem letzten Jahr brachte erschreckende Einstellungen ans Licht: 53 Prozent der Befragten sagen, ältere Menschen trügen nicht entscheidend zum gesellschaftlichen Fortschritt bei. Und 51 Prozent der Befragten sind für eine Regelung, nach der „Menschen nur bis zu einem bestimmten Alter, wie etwa bis 70 Jahre, politische Ämter ausüben dürften. Offenbar hat der Kampf um die Ressourcen begonnen, die Spannung zwischen den Generationen nimmt zu. Altersdiskriminierung ist eines der Ergebnisse. Ferda Ataman spricht von Ageismus- eine Art Altersrassismus, zu dem auch Sexismus gehört- die Abwertung älterer Frauen.

Schaut man genauer hin, zeigt sich: Alter allein ist kein Kriterium. Ältere Menschen werden so lange nicht diskriminiert, solange sie nicht als Alte wahrgenommen werden. Viel hängt davon ab, wie agil sie bleiben und wie lange sie mithalten mit ihrer Leistung, ihrer Mobilität. Das Alter allein ist es nicht - es kommt auf den gesellschaftlichen Status an, auf die finanziellen Möglichkeiten, auf Fitness und Kommunikationsverhalten. Und auf ein stabiles Selbstbewusstsein.

Martha kommt mir da in den Sinn: Sie begann ihr Theologiestudium und machte damals ein Praktikum in der Kirchengemeinde, in der ich mit nicht einmal 30 Jahren Pfarrerin war – Martha aber war 70. Und ich war irritiert. Warum machte sie das noch mit 70? Nur meine Mutter die die Uni ohne Abschluss verlassen hatte, als sie mit mir schwanger war, verstand: Es ging um Emanzipation. Es ging darum, sich nicht länger aufhalten zu lassen von dem, was andere dachten über Frauen oder über das Alter. Und als Martha dann mit den Konfis zusammen über die Konfi-Sprüche sprach, die sie auswählten, da passte beides gut zusammen: die Träume der Konfis und Marthas Erfahrung.

Bei der Theologiestudentin Martha- die später noch alle Prüfungen bestand, bei dem Unternehmensberater oder der bekannten Schauspielerin spielt das Alter weniger eine Rolle. Anders ist es bei Frauen, die ein Leben lang für andere gesorgt haben - Kinder erzogen, geputzt, gepflegt und sich krumm gearbeitet haben: Sie werden oft und schnell auf ihr Alter reduziert. Tatsächlich sind sie körperlich weniger fit, müssen von einer niedrigen Rente leben und ziehen sich schnell zurück.

Und die Pandemie hat diese Situation verschärft: Weil Ältere durch Covid mehr gefährdet sind, galten sie als besonders schutzbedürftig.

Ich habe eine Weile gebraucht, um zu begreifen, was während der Pandemie geschehen ist. Zuerst dachte ich, es ginge nur darum, eine Weile mit Einschränkungen zu leben. Tatsächlich aber hat Corona das Altersbild verändert. Nach Jahren, in denen das „Aktive Altern“ die Debatte bestimmte, nach vielen wegweisenden Altersberichten der Bundesregierung, nach unzähligen Ideen, Filmen und Büchern über die dritte Lebensphase scheint es nun ein Rollback zu geben. Viele, die sich gestern noch auf einen neuen Aufbruch gefreut haben, fühlen sich plötzlich wie eingesperrt in überkommenen Altersbildern. Das zeigten viele Beiträge aus dem Netzwerk „Oma trotzt Corona“, das ich während der Pandemie gegründet habe. Mehr als 40 Interessierte waren dabei. „Ich habe im Freundeskreis eine paternalistische Haltung von Jüngeren den Älteren gegenüber erlebt“, schreibt da die Leiterin einer Gruppe aus der Altenarbeit. „Die Älteren müssen geschützt werden. Und Jüngere spielen sich als die selbst ernannten Eltern der Alten auf, die ihnen sagen, was sie zu tun und zu lassen haben.“

 

Kein Wunder, dass viele mit dem Älterwerden nichts zu tun haben wollen. Die meisten wollen jung, fit bleiben -und natürlich selbständig. Und gut aussehen, auch und gerade mit grauen Haaren. Und viele sind ja auch mit 70 so gesund wie früher 55- jährige. Die Fotos in meiner Facebook-Gruppe erzählen davon: Alte Menschen können sich sehen lassen. Sportliche Frauen, die ihr Alter nicht verstecken, die sich in all ihrer Schönheit zeigen. Frauen, die sich selbst sichtbar machen, unabhängig von der Anerkennung anderer.

Aber Corona hat mir auch gezeigt: Die Schattenseiten des Alters lassen sich nicht ausblenden. Ja, im Alter sind bin ich verletzlicher, öfter mal hilfebedürftig. Und je mehr ich die Jugend idealisiere, desto größer wird die Angst, dass mein Körper mich im Stich lässt. Die Angst vor dem Abbau, vor dem Tod. Wer will da schon hinschauen? Wer will sich im Aufbruch zur dritten Lebensphase mit Pflegebedürftigkeit beschäftigen? Aber gerade an der Schwelle zur dritten Lebenshälfte sollten Menschen für ein gutes Altern, für gute Pflege und gutes Sterben sorgen, denn keine Anti-Aging-Medizin, kein Fotofilter und keine KI wird uns davor retten, sagt die Regisseurin Doris Dörrie. Sie ist inzwischen 67 und bringt ihre persönliche Erfahrung ein. Und sie hat Recht: Wenn wir, die Menschen dieser Altersgruppe, nicht für ein gutes Altern eintreten- wer dann?

 

Die Verwundbarkeit, die ich im Alter stärker spüre, muss nicht zum Rückzug führen. Sie macht mich ja auch sensibel für andere, die Diskriminierung erfahren. Diese Erfahrung führt hoffentlich ins gesellschaftliche Engagement. Wie bei Margarethe aus dem Dorf, in dem ich wohn: Die Buchhändlerin aus Frankfurt kam im Ruhestand zurück auf den Hof ihrer Mutter. Sie züchtete Schafe, engagierte sich im Stadtarchiv, recherchierte die Vergangenheit des Dorfes und legte mit anderen zusammen internationale Gärten an. Da wurden Gerichte aus aller Herren Länder gekocht: Kulturbegegnung am gedeckten Tisch. Nicht wenige werden im Alter politisch und tragen zum Wandel bei. Zum Beispiel die „Klimaseniorinnen“ in der Schweiz. Sie klagen vor dem europäischen Gerichtshof gegen ihre Regierung. «Wir fühlen uns mit unserer erwiesenen besonderen Verletzlichkeit als ältere Frauen vom Bundesrat nicht genügend geschützt vor der Klimakatastrophe“, sagt Anna Mahrer, die Vizepräsidentin. „Wenn wir mit unserer Klage in Straßburg gewinnen, nützt dies letztlich allen.“

Letztes Jahr im Juli trat Joni Mitchell beim Newport-Festival auf – nach 52 Jahren wieder. Sie stand so lange nicht mehr auf der Bühne, aber ihr Netzwerk trug noch immer. Und ihre Stimme auch.

Auch Margarethe aus meinen Dorf war gut vernetzt. Sie war in der Kirchengemeinde engagiert und sorgte für eine gute Verbindung zu den Vereinen. Ob die Kirchengemeinde das geschätzt hat? Mein Eindruck ist: Viele Gemeinden tun sich noch schwer mit den selbstbewussten 70-jährigen, die so gar nicht in den Seniorenclub passen.

 „Die Kirchengemeinde, zu der ich gehöre“, schreibt Heike, eine Baby Boomerin. „bedankte sich bei den Gemeindeblatt-Verteilerinnen. Es gab einen Nachmittag mit Eistorte und Kaffee. Auf den Fotos: Mehrere Frauen, alle zwischen 60 und 80 Jahren. Text darunter: Wir bedanken uns bei den Helferlein!!! Wie ist es möglich, dass so despektierlich von diesen Frauen geschrieben wird? […] Wir Baby Boomer sind viele, könnten die Welt ein ganzes Stück verändern. Wir haben Gaben, die wir einsetzen können. Aber nicht ohne Wertschätzung!“

„Es scheint da eine merkwürdige Rollenerwartung zu geben,  von der wir gedacht haben, dass sie überwunden ist“, meint auch Susanne Kahl-Passoth, die Vorsitzende der Evangelischen Frauenarbeit:  „ Kaffee kochen, Kuchen backen, Gemeindebasar veranstalten- das wird noch immer von uns erwartet. „Dass wir uns mit Themen wie Transsexualitätsgesetz, Menschenhandel, §218 beschäftigen und Stellung beziehen, das passt nicht zu dem Image, das wir haben“.

„Ich erlebe mich gerade stark auf dem Rückzug aus Kirche und Kirchengemeinde“, mailt mir Ursula, eine ältere Erwachsenenbildnerin. „Trotz vieler Kämpfe hat der Kirchentag pünktlich zum 40-Jahre-Jubiläum das Zentrum Älterwerden zugunsten eines Zentrums Generationengerechtigkeit abgeschafft. Und es ist gar nicht selbstverständlich, dass ich als nunmehr Hochbetagte in die Projektleitung berufen wurde. Auch die Kirche wolle jung sein und jung erscheinen, meint Ursula. „Mit alten Menschen verbindet sich keine Hoffnung, sie erinnern eher mit ihrer Nähe zum Lebensende daran, dass die Kirchen auch eine Art Endzeit erleben – zumindest in ihrer bisherigen Gestalt“,

Das tut weh, aber vielleicht hat Ursula recht. Kirche wird kleiner und weniger und vielleicht auch verletzlicher – das gilt es anzunehmen und dann gemeinsam nach vorn zu schauen. So wie meine Freundin Margarete es getan hat,

Ob die Frauen aus meiner Facebook-Gruppe auf die Idee kämen, bei der Kirche nachzufragen, wenn sie Räume brauchen für ein Projekt, eine Initiative, eine Yogagruppe? Ob die eine oder andere Lust hätte, mitzumachen- in der Arbeit mit Geflüchteten oder bei einem Leih-Oma-Projekt in der Kirchengemeinde? Wir könnten noch viel voneinander lernen. Zum Beispiel von Helga: Die Leichtigkeit des Seins mit unendlicher Dankbarkeit genießen. Das passt zu dem, was Jesus empfiehlt: Blühen wie die Lilien auf dem Felde. In jeder Phase lebendig und schön.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

  1. Tina Turner: Simply the best.
  2. Milva: Hurra, wir leben noch.
  3. Joni Mitchell: Both Sides Now.

Am Sonntagmorgen