Frère Roger - Gegensätze verbinden
von Pfarrer Dr. Florian Ihsen
14.08.2024 06:35
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Im August 2005 wird Frère Roger ermordet, der Gründer der ökumenischen Gemeinschaft in Taizé. Seine Art, an Christus zu glauben und danach zu leben, wirkt bis heute nach.

 
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Taizé, ein Dorf auf einem Hügel im französischen Burgund. Hier lebt eine ökumenische Gemeinschaft von Mönchen, zu der jedes Jahr Hundertausende pilgern, vor allem Jugendliche.

Es ist ein Augustabend vor 19 Jahren. Alles ist wie immer. Die Taizé-Brüder in ihren weißen Gewändern versammeln sich zum Abendgebet. Tausende sind bei ihnen, Gäste, Jugendliche und Kinder. Sie wollen über ihr Leben nachdenken, neue Leute aus aller Welt kennen lernen, Spaß haben und auch das tun, was sie daheim nicht so oft tun: in die Kirche gehen, beten und singen. Sie knien und sitzen auf dem Boden, schweigen, meditieren, warten.

Mitten unter ihnen sitzt Frère Roger, der Gründer der Gemeinschaft. 90 Jahre ist er alt. Dünnes weißes Haar, mit Scheitel frisiert, viele Falten im Gesicht. Er wirkt gebrechlich, und doch ist er ganz aufmerksam. Seine Augen blicken wach, nach außen und nach innen. Wie immer kommen Kinder zu ihm. Er segnet sie. Es ist eine ruhige Atmosphäre, mit Kerzenlicht, und dazu die einfachen schönen Taizé-Gesänge, mehrstimmig, vielfach wiederholt.

Plötzlich geht alles ganz schnell. Eine junge Frau schreit auf, geht auf Frère Roger zu und sticht ihm mit einem Messer mehrfach in den Hals. Roger verliert das Bewusstsein, wird ins Nachbarhaus gebracht und stirbt.

Ich bin sehr traurig über seinen Tod und habe damals über den Bildschirm den Trauergottesdienst mitgefeiert. Mich hat besonders das erste Gebet berührt:

"Gütiger Gott, wir vertrauen deinem Verzeihen Luminita an, die durch eine krankhafte Tat dem Leben unseres Bruders Roger ein Ende bereitet hat. Mit Christus am Kreuz sagen wir zu dir: Vater, verzeih ihr, sie wusste nicht, was sie tat." (1)

Beten für die Täterin. Das fällt schwer. Und doch passt gerade das zu dem ermordeten Frère Roger. Versöhnen, verzeihen – das ist ein Gebot Jesu und schwere innere Arbeit.

Frère Roger war ein ökumenischer Mensch. Wenn er noch leben würde, würde er heute bestimmt für Frieden zwischen den Religionen wirken. Das Verbindende zwischen Christen, Juden und Muslimen hervorheben, und gewiss auch die Gemeinsamkeiten mit dem Buddhismus, dem das Still-Werden genauso wichtig ist wie Roger und anderen christlichen Mystikern. 

Für Roger war seine Großmutter, seine Grand-Maman ein wichtiges Vorbild. Eines Tages konnte sie die Trennung der Christen in evangelisch und katholisch einfach nicht mehr ertragen. Sie sagte: Es wird erst dann Frieden in Europa geben, wenn sich die Christen versöhnen. Deshalb ist sie, die evangelische Pfarrfrau, einfach in eine katholische Kirche gegangen, um dort zu beten und auch die Kommunion zu empfangen. Ihr Enkel erzählt später:

"Das Lebenszeugnis meiner Großmutter hat mir einen ganz konkreten Weg aufgetan. Ihr Entschluss, im Ersten Weltkrieg arme Menschen aufzunehmen und in sich selbst die Versöhnung zu suchen, hat mich für das ganze Leben geprägt. Ich fand meine Identität als Christ darin, in mir den Glauben meiner (evangelischen) Ursprünge mit dem Geheimnis des katholischen Glaubens zu versöhnen, ohne die Gemeinschaft mit irgend jemandem abzubrechen." (2)

Kann man das? Das eine mit dem anderen versöhnen, die Gemeinschaft mit beiden halten? Gegensätze in sich versöhnen, ohne die Gemeinschaft mit jemandem zu brechen?

Frère Roger war vielen ein Dorn im Auge. Den Katholiken blieb er zu protestantisch. Den Protestanten zu katholisch. Den Liberalen zu konservativ und den Konservativen zu liberal. Mich erinnert Frère Roger daran: Mit Christus gehen ist ein schöner Weg, wenn auch nicht immer leicht. Versöhnen und Verzeihen ….  Alles beginnt mit der Versöhnung von Gegensätzen in mir.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Literaturangaben:

  1. Vgl. auch: Die Liebe wählen. Frère Roger, 1915-2005, Freiburg – Basel – Wien 2013, 122, hier in leicht verändertem Wortlaut. 
  2. Christian Feldmann, Frère Roger, Taizé. Gelebtes Vertrauen, Freiburg –Basel – Wien, 2005, 17.