Christus im Niemandsland
von Pfarrer Dr. Florian Ihsen
13.08.2024 06:35
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Eine Kirche in einem Dorf bei Potsdam stand früher im Niemandsland zwischen DDR und BRD. Auf der Grenze zwischen Gegensätzen – das macht die Kirche aus.

 
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Wälder und Gewässer umgeben das Dorf Sacrow, ein Ortsteil der brandenburgischen Hauptstadt Potsdam. Dort gibt es eine Kirche. Sie liegt in einem weitläufigen Park, unmittelbar an der Havel am Wasser. "Heilandskirche" heißt sie.  Sie wurde im 19. Jahrhundert gebaut. Im Inneren im Gewölbe über dem Altar ein Bild mit Christus als Erlöser der Menschheit. Von außen: eine dreischiffige Basilika, aus roten Ziegelsteinen und blauglänzenden Fliesen. Um die Kirche herum ein Säulengang und neben der Kirche ein Kampanile als Glockenturm, wie in Italien. Auf dem Platz vor der Kirche steht eine Rundbank. Eine Steintreppe führt direkt zum Wasser

Ich liebe diesen Ort: Die Stille, die Lage am Wasser, die besondere Architektur. Für mich und für viele ist die Heilandskirche in Sacrow ein spiritueller Kraftort. Wenn ich in Berlin bin, komme ich gerne zum Meditieren hier her.

Mich berührt auch die besondere Geschichte dieser Kirche. Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 konnte man die Heilandskirche nur noch schwer erreichen. Die Staatsgrenze verlief mitten durch die Havel und mitten durch das Gebiet der Gemeinde. Am 13. August 1961 wurde die Berliner Mauer gebaut. Und durch die Trennung in Ost und West lag die Sacrower Heilandskirche auf einmal in unzugänglichem Grenzgebiet. Im Niemandsland.

Die Heilandskirche im Niemandsland. Für mich ist das ein Symbol: Christus stellt sich nicht auf die Seite der einen oder der anderen. Niemand kann Gott, niemand kann Christus besitzen. Weder die anderen, noch wir, noch ich. Es ist gut und nötig, dass sich Kirche auf die Seite von Menschen stellt. Sie darf sich aber nicht auf die Seite von Staaten und Systemen stellen. Kirche und Christentum stehen für eine universale Gemeinschaft, die Grenzen überschreitet.

Im Neuen Testament lese ich: Christus ist unser Friede. (Epheser 2,14) Er hat die Zäune abgebrochen. Er hat in sich selber aus Gegensätzen einen neuen Menschen geschaffen. In sich selber – daran bleibe ich hängen.

Christin- oder Christsein heißt auch: In sich selber Gegner versöhnen, Grenzen überwinden, Zäune abbrechen. Manchmal braucht es dazu einen dritten Ort, ein Niemandsland, um genau das zu schaffen: Gegensätze verbinden und versöhnen, die manchmal einander viel näher sind, als ich wahrhaben möchte.

Christus im Niemandsland. Das Niemandsland ist auch ein Bereich in mir und in jedem Menschen. Ein Bereich, in den ich nicht so einfach komme. Der mir entzogen ist. Und der doch zu meinem Leben gehört. Ohne den ich nicht ich wäre. Psychologen sprechen vom "Unbewussten".

Ich mag an meinem evangelischen Glauben besonders die Feier des Heiligen Abendmahls. Wenn ich beim Abendmahl ein Stück Brot und einen Schluck Wein bekomme, "Leib und Blut Christi", dann lasse ich Christus in mich hinein, in meinen Körper, auch und gerade in die Schichten, die ich nicht kenne, die mir unbewusst sind, in mein Niemandsland.

Ein evangelischer Mystiker – Roger Schutz – hat wunderbare Worte gefunden, wie das ist, wenn Christus in das Niemandsland meines Inneren kommt:

"Christus in die entferntesten Tiefen unseres Inneren hineinsteigen lassen, in jene Bereiche unseres Menschseins, die noch unbewohnt sind und die sich weigern oder die außerstande sind, Christus anzugehören. Er wird die Regionen des Verstandes und die des Gemütes durchdringen, er wird unser Fleisch bis ins Herz treffen, so dass auch wir eines Tages erbarmungsvolle Herzen haben werden. Langsam werden sich die widerspenstigen Zonen erhellen durch die Gewissheit seiner Gegenwart."

Daran glaube ich: Zäune, Grenzen und Gegensätze lassen sich überwinden - auch in mir selbst.

Es gilt das gesprochene Wort.