Kontemplation in der Natur
von Pfarrer Dr. Florian Ihsen
12.08.2024 06:35

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Der Park, den man eigentlich kennt, kann zum Ort spiritueller Erfahrung werden.

 
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Kontemplatives Wandern. Dazu bin ich mit einer Gruppe in einem Park, in dem ich schon öfter gewesen bin. Es ist Frühling. Die Leiterin sagt: "Geht jetzt mal still, jede, jeder für sich. Schau, was dir begegnet. Lass dich ansprechen von dem, was dir die Natur zeigt. Betrachte es, meditiere, lass es auf dich wirken."

Ich bin skeptisch, lasse mich aber dann doch drauf ein. Ich bleibe vor blühenden Büschen stehen. Rhododendren in Pink, Violett und kräftigem Blau. Daneben ein Strauch, der weiß blüht. Ich setze mich und lasse die Farben auf mich wirken. Vier Farben. Spontan bringe ich sie mit vier Themen und Menschen meines Lebens zusammen. Und ich staune: Diese Farbe ist viel kräftiger als jene. Und diese andere Farbe ist eigentlich im Hintergrund. Während ich auf die Farben schaue, bewegt sich etwas in meinem Inneren. Mein Leben zeigt sich mir neu, anders als sonst. Ich fühle mich mit mir in Verbindung und mit Gott, dessen Kraft für mich in allem ist. Ein intensiver Moment. Kontemplation – Ich betrachte etwas, konzentriere, sammle mich im Außen auf ein Bild, eine Aussicht, einen Punkt, um mit meinem Inneren in Berührung zu kommen.

Als die Gruppe wieder zusammenkommt, sagt die Leiterin: "Wer mag, kann nun teilen, was sich gezeigt hat." Ich erzähle von meiner Erfahrung – und staune, was die anderen für sich entdeckt haben, was zu ihnen gesprochen hat: Die hohen Baumspitzen, das Zwitschern der Vögel, das Gras oder ein Käfer auf dem Weg, der ein Stück Kot hin und her wälzt. Jede, jeder hat etwas Eigenes erfahren.

Kontemplation in der Natur. Unter freiem Himmel betrachten, was blüht und wächst, was uns begegnet, umgibt und verbindet – das ist ein Weg, um Gott zu erfahren.

Kontemplation in der Natur ist auch einer der Wege, die Jesus geht, um mit Gott eins zu sein. Die Schöpfung ist Versteck und Offenbarungsort Gottes. Jesus spricht von Gott oft unter freiem Himmel. Er versammelt Menschen draußen, zur Bergpredigt, zur Feldrede, in Gärten.

Jesus sagt: Seht die Vögel! Lernt von den Lilien. Schaut auf das Gras. (Matthäus 6)

Die Natur lehrt mich wahrnehmen. Und Wahrnehmen ist nicht Denken, Benennen, Analysieren, sondern Innehalten, äußerlich und innerlich präsent sein. Und das ist alles andere als leicht: Das Gedankenkarussell zum Schweigen bringen, mal nicht über den Alltag nachdenken, das Handy auf Flugmodus stellen. Einfach nur da sein, gehen, betrachten, mal still stehen, etwas entdecken und sich entdecken lassen von dem, was verborgen gegenwärtig ist. Wer bewusst in die Natur, in die Schöpfung geht, verbindet sich mit dem Schöpfer. Die ganze Welt ist voll von Gott. Davon gehe ich aus, wenn ich nach draußen gehe.

Betrachtet die Lilien, Blumen und Gräser und sorgt euch nicht, sagt Jesus in seiner Bergpredigt, der Naturpredigt auf dem Berg. Das griechische Wort für "sorgen" heißt besser übersetzt "sich zerteilen". Wenn ich stehen bleibe, eine Blume lang betrachte, dann lerne ich etwas von diesem: Zerteil dich nicht. Sei ganz hier! Lass dich nicht zerreißen zwischen deinen Aufgaben und Rollen, zwischen Terminen und To-Dos. Sei einfach ganz hier! Werde still. Die Stille ist kein Fehlen von etwas, sondern eine Quelle für etwas. Aus der Stille entsteht ein Leben, das von innen kommt. Aus der Stille kann Gott zu dir sprechen. Das Reich Gottes, Gott selbst ist in dir, sagt Jesus.

Kontemplation. In Ruhe betrachten. Das kann helfen, in diese innere Stille zu kommen. Innerlich still werden ist ein langer Weg. Und immer wieder sind da Gedanken, Sorgen und Gefühle, die mich durcheinanderbringen, zerteilen und einen Riesenlärm machen. Sorge, zerteile dich nicht, sagt Jesus. Sei ganz hier. Such das Himmelreich in dir, geh in die Natur, geh in die Stille, geh in dich.

Es gilt das gesprochene Wort.