Wachteln und Manna
von Pfarrer Thomas Dörken-Kucharz
30.07.2024 06:35
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Seit 45 Tagen sind sie auf der Flucht. Ihre Verfolger haben sie abschütteln können, zwar nur knapp, aber sie sind sie los. Doch jetzt wissen sie nicht weiter. Sie haben sich tief in die Wüste gewagt, das Wasser wird knapp und vor allem fehlt es an Nahrung. Seit Tagen haben sie nichts mehr zu essen. Die Stimmung ist längst auf dem Nullpunkt.

Viele begehren auf. Rebellieren. Was haben sich ihre Anführer nur dabei gedacht? Eine Flucht mitten durch die Wüste. Wahnsinn! Die meisten wollen zurück. Die Sklaverei war besser als der sichere Hungerstod. Das Leben bei den alten Herren in Ägypten war wahrlich kein Zuckerschlecken, aber es gab wenigstens ausreichend zu essen.

Auch die Anführer der entlaufenen Sklaven und Zwangsarbeiter, die die Hebräer genannt werden, sind verzweifelt. Sie beten zu ihrem Gott, dessen Ruf sie gefolgt sind und der sie zur Flucht aufgefordert hatte. Sie klagen über die Rebellion und ihre Ausweglosigkeit. - Und ihr Gott antwortet! Er schickt ihnen einen Schwarm Zugvögel, Wachteln in der Abenddämmerung, die sie fangen und essen können. Und am Morgen finden sie gelblich-weiße Kügelchen auf dem Boden. Die sind essbar, schmecken sogar gut. Sie bekommen mitten in der Wüste zu essen. Es ist ein Wunder.

Durch Wachteln und Manna wurde die Wüste kein Schlaraffenland, aber die Hebräer lernten, sich in diesen kargen Gegenden zu ernähren. Manna, das Himmelsbrot, fällt nicht wirklich vom Himmel, auch wenn es so wirkte: wundersam überraschend. Das Manna im Alten Testament geht auf eine natürliche Erscheinung zurück, wie man durch biologische Forschung inzwischen weiß. In einigen Gegenden der Halbinsel Sinai saugen zwei Schildlausarten aus der Manna-Tamariske (Tamarix mannifera) Pflanzensaft zur Versorgung ihrer Larven. Sie brauchen eine sehr große Menge Saft. Den Saftüberschuss sondern sie als Tropfen ab, und diese Tropfen fallen als kleine, gelblich-weiße Kugeln auf den Boden: Das Manna.

Die Kügelchen werden von Beduinen am Morgen aufgesammelt, da sie in der Hitze des Tages schmelzen. Und noch eine andere Art Manna gibt es: von einem Wüstenstrauch mit Namen "Weiße Hammada". Dieses Manna ist süß und wird als Honigersatz verwendet. Bis zur Neuzeit brachte man das Manna mit dem Tau in Verbindung, von dem man auch annahm, dass er vom Himmel fällt.

Ist Manna also kein Himmelsbrot? Zerstört die naturwissenschaftliche Erklärung das Wunder? Nein! Die Mannageschichte bleibt ein Wunder. Das Wunder ist das Überleben in der Wüste. Das Wunder besteht darin, neue Fähigkeiten und Perspektiven zu entdecken. Gott schenkt neue Hinsichten und lockt die rebellierenden und mürrischen Hebräer aus ihrer trotzigen Verweigerungshaltung. Nicht rückwärtsgewandtes Jammern, sondern aufmerksam sein im Hier und Jetzt. Statt sich regressiv nach den sprichwörtlichen Fleischtöpfen in Ägypten zu sehnen, die Möglichkeiten suchen, Neues entdecken und ausprobieren.

Im wörtlichen Sinn "umwelt-bewusst" zu werden, das bringt Lösungen. Das macht satt und schenkt Zukunft. So wirkt Glaube. Gott lehrt die Hebräer, besser auf ihre neue Umgebung zu achten, zeigt ihnen, was jeden Morgen da ist, nämlich Manna, und was gelegentlich in der Wüste auftritt: Schwärme von Wachteln. Aus einem Haufen entlaufener Sklaven, die rebellieren, weil sie kein selbständiges Leben kennen, werden aufrechte und sich selbst versorgende, fröhliche und zukunftsoffene Menschen. Das gelingt hier mit Wachteln und Manna. Wenn das kein Wunder ist.

Es gilt das gesprochene Wort.

Morgenandacht