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Sendung zum Nachlesen
Ein offener Himmel, in dem ich mich verlieren kann. So war das seit Kindertagen. Als wir auf den Wiesen lagen, stach spitz das Gras in Rücken und Schulter und zogen Wolken über uns hinweg. Dieses Gefühl: Glück, Frieden, Bewahrung, eine tiefe Übereinstimmung mit dem Leben. Urgrund in der blauen Weite. Wieder ein vierundzwanzigster. Heute. Ein Jahr und ein Monat. Seitdem der Tod vom Himmel fällt bekommt der Himmel Risse. Der Blick zum Himmel hat seine Unschuld verloren. Er kreischt, schreit und donnert. Ein bedrohlicher Himmel. Unvergessen der Gesang dieses Mädchens, ganz am Beginn des Krieges, im Bunker unter der Erde: Ich lass los, lass jetzt los. Die Kraft, sie ist grenzenlos. Ich lass los, lass jetzt los. Und ich schlag die Türen zu. Es ist Zeit, nun bin ich bereit und ein Sturm zieht auf. Das Lied "Let it go" aus dem Disney-Film "Die Eiskönigin". Und nun in diesem Bunker: Amelia, blonde Haare, Zahnlücke, silberne Sterne auf dem Pullover. Millionen Klicks und Tränen.
Im Johannesevangelium betet Jesus unter einem offenen Himmel bei Nacht, bevor man ihn gefangen nimmt. Vater, die Stunde ist gekommen. Verherrliche deinen Sohn, […] auf dass er ihnen alles gebe, was du ihm gegeben hast: das ewige Leben.
Jesu Blick zum Himmel in einer ausweglosen Situation: Gefangennahme, Folter, Kreuzigung und Tod. Ein Sturm zog auf, der am Ende das Leben auslöschte. Das Licht eines Menschen.
In Amelias Gesang unter der Erde und dem Gebet Jesu vor seinem Weg ans Kreuz liegt für mich etwas Verbindendes. Hier leuchtet die Ewigkeit auf, von der Jesus im Gebet spricht. In der Dunkelheit, in die kein Tageslicht dringt, und unter einer Betondecke, die einen bedrohlichen Himmel verschließt, ist der Gesang wie der glimmende Docht, von dem geschrieben steht, dass Gott ihn nicht auslöschen wird. In der Ausweglosigkeit, in der Verzweiflung ist auch die Ewigkeit. So wie Amelia möchte auch ich glauben, auch für die Menschen in der Ukraine, dass das, was geschieht nicht alles ist und vor allem nicht das, was bleiben wird. Dass der, der da seine Augen zum Himmel hob und betete, der ist, der die letzte Macht über uns und alles hat. Dass da also Frieden sein wird und Glück, Bewahrung und die tiefe Übereinstimmung mit dem Leben. Schon jetzt. Mitten unter uns. Augenblicke der Ewigkeit. So, wie unter dem Himmel unserer Kindheit. Unter dem wir uns verlieren konnten und doch auf eine wundersame Art gefunden wurden.
Es gilt das gesprochene Wort.