Wer spricht mit wem, mit wem nicht und warum doch!
Gedanken zur Woche von Pastor Matthias Viertel
27.09.2024 06:35

Nach drei Landtagswahlen müssen Parteien miteinander reden, die das nicht wollen. Sie sollten sich ein Beispiel an Jesus nehmen, um sprachfähig zu werden.

Sendung zum Nachlesen:

Wer spricht mit wem, und mit wem nicht? Wie kommt man ins Gespräch? Es gibt eine Geschichte im Neuen Testament, die das thematisiert und mich geprägt hat. Da geht es um eine eher all-tägliche Begegnung. Jesus kommt auf seinem Weg zu einem Brunnen und trifft auf eine Frau, er bittet sie um Wasser und sie gibt ihm zu trinken. (Joh 4,1-42)
Nichts Aufregendes also, etwas scheinbar Normales, aber der Reiz liegt im Detail. Und dazu ge-hört schon der Ort, denn diese Begegnung ereignet sich in der Gegend um Nablus, also mitten im heutigen palästinensischen Autonomiegebiet. Schon zur Zeit Jesu war diese Westbank zwi-schen Galiläa und Judäa eine Region voller Konflikte. Juden und die Bewohner Samarias – wie Nablus damals hieß - gingen sich komplett aus dem Weg. Sie hatten einen eigenen Tempel, für Juden der Zeit Jesu ein Unding. Dass Jesus hier auf eine Person, noch dazu eine Frau, zugeht, sie anspricht und in einen Dialog verwickelt, war alles andere als normal. 
Die Episode fasziniert mich, weil sie darüber Auskunft gibt, wie man sprachfähig wird. Dass Men-schen nicht miteinander kommunizieren, sich lieber abgrenzen und ihre liebgewonnenen Deu-tungsmuster von der Welt pflegen, ist uralt. Die geschilderten Hindernisse auf dem Weg zu einer gelingenden Kommunikation sind vielschichtig: Hier Mann dort Frau, hier Samaritanerin dort Jude, vieles wirkt trennend, das Geschlecht, der Glaube, die politische Haltung, ja die ganze Grundeinstellung zum Leben. 
Die Rahmenbedingungen haben sich verändert, aber die Frage, wer mit wem spricht, erhitzt noch immer die Gemüter, und zwar mehr denn je. Auch hier bei uns. Gleich drei Landtagswah-len haben zu Ergebnissen geführt, deren Folgen nicht absehbar sind. Die Parteien müssen mitei-nander ins Gespräch kommen, um Regierungen bilden zu können. Und doch sind da schier un-überwindbare Hürden. Kommunikative Brandmauern stehen den Dialogen im Weg. Mit der AFD geht gar nichts, mit dem BSW will auch niemand so recht, die einen können nicht mit den Grü-nen und mit der FDP wollen die anderen nicht. Und CDU wie SPD sprechen auch mehr über rote Linien als über Chancen des Miteinanders. Aber wie kann Regierung gelingen, wenn die gewähl-ten Parteien nicht miteinander verhandeln?
Wenn Demokratie funktionieren soll, muss die Frage: "Wer spricht mit wem, mit wem nicht und warum doch" unbedingt gelöst werden. Der Blick auf die Begegnung am Brunnen kann dabei möglicherweise helfen. Wo andere verstummen, sucht der Glaube nach Worten, kann dabei hel-fen, Gräben zu überwinden und neue Wege zu suchen. "Am Anfang war das Wort" heißt es nicht ohne Grund zu Beginn des Johannesevangeliums. Am Anfang steht immer das Wort, erst aus der Begegnung kann eine Annäherung entstehen, nur wer auf die Kraft der Worte setzt, ermöglicht Dialoge. Wer nicht miteinander spricht, verstärkt die Kluft und entfernt sich von Lösungen.
Die Art und Weise, wie Jesus auf die ihm fremde Frau zugeht, ist beeindruckend: Er will sich nicht mehr in bequemen Vorurteilen einrichten. Er übergeht einfach alle intellektuellen Brand-mauern, setzt träge Denkgewohnheiten außer Kraft, um sich ganz auf den Menschen einzulassen. Nicht mehr rechts oder links, Ost oder West, rot oder grün zählen für ihn, wenn er den Men-schen mit seinen Ängsten und Nöten wahrnimmt. "Wer spricht mit wem, mit wem nicht und wa-rum doch" – um diese Frage ringt die biblische Geschichte. Und sie findet eine Antwort: Das Gespräch steht immer am Anfang, und bei gegenseitigem Respekt ist es möglich, die Trägheit des Herzens zu überwinden. Oder anders gesagt: Der Mensch ist wichtiger als das Denkgesetz. Ich muss ihm ja nicht immer recht geben, aber auf ihn zugehen, mit ihm über die Probleme sprechen und damit die selbst gesetzten Grenzen überdenken, - das ist möglich. Auf jeden Fall werde ich dadurch sprach- und handlungsfähiger.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

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