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Je tiefer wir Menschen in den Weltraum schauen, umso näher kommen wir unseren Anfängen. Mit den großen Teleskopen geht das mehr als 13 Milliarden Lichtjahre weit, also bis an die Ränder des Urknalls. "Im Weltall kann ich Gott mit den Händen greifen", schrieb der Astronom Johannes Kepler im 17. Jahrhundert. Ich sammle solche Worte, denn sie berühren meinen Glauben. Ebenso die Geschichten mit den spirituellen Momenten der Apollo-Missionen, Popsongs über die Reise ins All und Verse aus dem Zyklus der Sterne von Ernesto Cardenal, wo Bibel und Astrophysik ineinanderfließen. Für mich sind es Fundstücke vom ‚Spülsaum der Schöpfung‘. Wenn das Universum ein Ozean ist, dann leben wir an einem seiner Strände.
Ich bin ein Mond-Kind, geboren exakt vier Monate vor den ersten Schritten auf dem Erdtrabanten. Als Neil Armstrong am 21. Juli 1969 (um 3:56 Uhr) die Landefähre Eagle verlässt, sitzt mein Vater mit mir vor dem Fernseher, wiegt mich in seinen Armen. Die ARD überträgt live, fast 30 Stunden. Vielleicht hat dieser Moment sich in mein Unterbewusstsein eingesenkt, mich für den Weltraum sensibilisiert? Mission Control in Houston spielt beim Landeanflug für die Astronauten "Fly Me to the Moon" über den Bordfunk. "Flieg mich zum Mond. Lass mich zwischen den Sternen spielen." Was nicht übertragen wird, ist die Abendmahlsfeier in der Landefähre. Bevor Armstrong seinen Satz vom kleinen-großen Schritt funkt, spricht Edwin "Buzz" Aldrin –der Pilot – die Worte vom Weinstock (Joh 15). Und er betet Psalm 8:
"Ich blicke zum Himmel und sehe den Mond und die Sterne – allen hast du ihre Bahnen vorgezeichnet." Aldrin ist Ältester in einer reformierten Kirchengemeinde in Texas. Sein Pastor hat ihm einen Kelch mitgegeben, Brot und Wein in Plastikbeuteln. Wegen der geringen Schwerkraft rollt der Wein sacht die Innenseite des Kelchs hinauf. Kommandant Armstrong schaut schweigend zu, anschließend kommt sein großer Moment:
Ein Abendmahl im Weltraum. Auch andere Astronauten des Apollo-Programms setzen solche Glaubenszeichen. Neil Armstrong bringt einen goldenen Olivenzweig mit zum Mond, als Symbol für den Frieden, dazu die Orden des verunglückten Kosmonauten Juri Gagarin, der erste Mensch im All. 1971 legt James Irwin eine Bibel in den Mondstaub. Das zeigt doch: Nirgends sind Menschen Gott fern, weder am äußersten Meer, noch in den unendlichen Weiten des Weltraums (vgl. Ps 139,8-12). Genau diesen Geist atmen auch die Sternen-Gedichte des Priesters Ernesto Cardenal im Cántico Cósmico, den Gesängen des Universums:
"Am Anfang gab es nichts, weder Raum noch Zeit. Das ganze Universum, verdichtet auf den Raum eines Atomkerns." […] "Am Anfang, vor dem Urknall, war das Wort." "Es war das Wort der Liebe. […] Das Licht war Teil der Finsternis, und er trennte das Licht von der Finsternis, […] das war der Urknall."
Die Gesänge des Universums erscheinen 1989 auf Spanisch, 1992 auch auf Deutsch. Zwei Bände im Kartonschuber, 43 Lieder. Mit Titeln wie "Urknall", "In irgendeiner Galaxie", "Omega". Ernesto Cardenal nennt seine Lyrik "wissenschaftliche Poesie", verbindet Astrophysik und Schöpfungsglauben. Der Cántico Cósmico ist sein Hauptwerk. Ich habe Cardenal als Jugendlicher auf einem Kirchentag erlebt, seine sanfte Aura, die mystische Sprache. Mit dem Barrett und seinem Rauschebart hat er ein wenig wie Che Guevara ausgesehen. Cardenal, 1925 in Nicaragua geboren, 2020 mit 95 Jahren verstorben. Er war Revolutionär, Kultusminister, Mönch, aber zuallererst: Dichter. Voller Leidenschaft, Liebe. Für den Befreiungskampf der Armen, den Urwald, für Gott und die Sterne.
"Was ist in einem Stern? Wir selbst. Alle Elemente unseres Körpers und des Planeten waren im Inneren eines Sterns. Wir sind Sternenstaub. [Wir] waren wir eine Masse aus Wasserstoff, die im Raum […] tanzte. Und das Gas verdichtete sich."
Helium, Wasserstoff. Vom Urknall in Raum und Zeit geworfen. Dann die Geburt der ersten Sterne, "es ward Licht". Aber auch Sterne haben ihre Zeit, implodieren, zerfallen zu Staub. Dieser Staub bildet neue Sterne, ganze Galaxien, unser Sonnensystem, das Leben auf dem blauen Planeten. Erstaunlich, wie nahe Astrophysik und Bibel beieinander liegen. Im Anfang, so erzählt die Schöpfungsgeschichte, "da machte Gott den Menschen aus Staub von der Erde (1. Mo 2,7).", Und Gott sprach: "Staub bist du […] und zum Staub kehrst du zurück (1. Mo 3,19)". Dieser Staub hat es – wie die Mondreise – ebenfalls in die Popmusik geschafft. Zu hören in "Woodstock", komponiert von Joni Mitchell, 1969 im Jahr der Mondlandung. Hier in der Version von Matthews Southern Comfort:
Sternenstaub, er lässt sich in allen Winkeln des Universums finden. Dieses Universum dehnt sich in die Unendlichkeit aus. Immer noch. Und mit ihm unsere Galaxie, die Milchstraße, Milliarden anderer Galaxien mit Milliarden weiterer Sterne. Einen Zipfel dieser unendlichen Weiten versuchen die beiden Voyager-Sonden zu fassen. Sie ähneln fliegenden Untertassen.1977 schickt die NASA sie zu Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun. Inzwischen haben Voyager 1 und 2 unser Sonnensystem verlassen, schweben durch die große Leere, den interstellaren Raum (20 Milliarden Kilometer entfernt). Die Sonden sind mit Kamera, Funkantenne, Messinstrumenten ausgestattet. Und den Golden Records. Datenplatten, zum Schutz vor Korrosion mit Gold überzogen. Darauf Fotos von der Erde, Naturgeräusche wie Wind und Fröschequaken, Gesänge indigener Völker, Werke von Johann Sebastian Bach und der Rock n Roll von Chuck Berry. Am beeindruckendsten aber finde ich die Grußbotschaften
"Grüße an alle Völker des Universums. Gott gebe euch immer Frieden." Sagt der Mann aus Uganda. 55 Menschen sind auf den Golden Records zu hören. Ihre Grüße klingen wie Segenswünsche, unschuldig, als wären wir immer noch im Paradies. Auch ein Kind von sechs Jahren ist zu hören, Nick Sagan, der Sohn eines Voyager-Wissenschaftlers. Später wird er Autor für die Science-Fiction-Serie Star Trek.
"Hallo von den Kindern des Planeten Erde." Ich glaube, Jesus hätte das gefallen. Kinder als Botschafter der Menschheit. Wer auch immer die Golden Records an den Rändern des Urknalls auflegt, dürfte gerührt sein. Sie sind ein Lobgesang auf die Erde, die wie eine Perle auf dem samtschwarzen Nichts des Weltalls liegt. "Was für eine Schönheit", funkt Juri Gagarin, als er 1961 die Erde aus dem All betrachtet hat. Als erster Mensch überhaupt. Später soll er zu seinen Genossen gesagt haben: "Man kann nicht ins All reisen und Gott nicht in seinem Herzen haben." Die Crew von Apollo 8 erlebt auch so einen Moment – und setzt ein Glaubenszeichen. Im Dezember 1968 umrunden drei Astronauten den Mond und erleben, wie die Erde über dem Mondhorizont aufgeht. Tiefblau. Leuchtend. Earthrise, ein Erdaufgang. Während der Fernsehschalte greifen sie zur Bibel, lesen die Schöpfung. "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde":
William Anders: "(0:12) In the beginning God created the heaven and the earth. And the earth was without form, and void; […] and God said, let there be light: […] Jim Lovell: "And God called the light Day, and the darkness he called Night. And the evening and the morning were the first day."
"Gott trennte das Licht von der Finsternis. So ward aus Abend und Morgen der erste Tag." Die vermutlich erste Schilderung einer Mondreise stammt aus dem 17. Jahrhundert von Johannes Kepler, einem Theologen. Eigentlich will er Pfarrer werden, tritt dann aber eine Stelle Hofastronom an und revolutioniert die Astrophysik. Kepler berechnet, dass die Planeten in Ellipsen um die Sonne laufen. "Im Weltall kann ich Gott mit den Händen greifen", schreibt Kepler in einem Brief. Seine Kurzgeschichte "Somnium. Der Traum vom Mond" erscheint nach seinem Tod, 1634. Kepler schildert darin die ersten Schritte auf dem Erdtrabanten – basierend auf den damaligen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Der Blick zum Mond inspiriert auch viele Musiker. Im 19. Jahrhundert den Komponisten Claude Debussy, später Pink Floyd mit "Dark Side of the Moon" oder die Rockband Smashing Pumpkins. Der Videoclip für ihren Hit "Tonight, Tonight" erscheint wie die Verfilmung eines Jules-Verne-Romans. Kulissen bilden Sterne nach, Krater, ein silbernes Raumschiff. Die Protagonisten reisen mit Zylinder, Gehrock, Rüschenkleid durch Raum und Zeit.
"Zeit ist nicht einfach bloß Zeit. Wenn du reist, lässt du auch immer einen Teil von dir zurück. Wir werden niemals dieselben sein." Bei den Smashing Pumpkins wird die Mondfahrt zum Gleichnis dafür, dass alles fließt. Alles in Bewegung. Das gilt ja tatsächlich für das Universum. Es dehnt sich immer weiter in die Unendlichkeit aus. Die Frage ist, ob das ewig so weitergeht? Zerreißt das Universum eines Tages oder wird es in Kälte erstarren, wenn alle Sterne erlöschen? Der Priester-Dichter Ernesto Cardenal glaubt an einen Zyklus der Sterne. Irgendwann zieht sich der Kosmos wieder zusammen, alle Masse, all der Sternstaub konzentriert sich an einem Punkt. Schreibt er, Omega – und dehnt sich dann erneut aus:
"Und wir, was wird aus uns? Ein endloser Kreislauf von Ausdehnung und Zusammenziehen, wieder und wieder. […] Und dieses Universum sich nach jedem Urknall wiederholt, um jedes Mal besser zu werden, bis es der perfekte Kosmos wird, in dem alle vergangene Zeit gegenwärtig ist."
In der Astrophysik gibt es den Begriff vom zyklischen Universum für das, was der Theologe und Dichter hier lyrisch fasst. Es bläht sich auf, kontrahiert, immer wieder. Eine Theorie, bewiesen ist sie nicht. Die Bibel wiederum spricht von der Neuschöpfung am Ende aller Zeiten. Ernesto Cardenal denkt beides zusammen. Über den Zyklus der Sterne entwickelt sich das Universum zu einer immer höheren Form, hin zur Vollendung. Er schreibt von Gottes Plan: Wir ein Teil von ihm. Ewig, unendlich. Nichts und niemand geht verloren: kein Atom, nicht ein Gramm Sternenstaub. Auch die Seele bleibt, geht nicht unter in diesem tanzenden Kosmos, mystisch und ganz christlich. Auferstehung wird so zu einem evolutionären Prozess.
"Ich bin ein Kind der Erde und des Sternenhimmels", heißt es im 6. Gesang des Cántico Cósmico. Ernesto Cardenal sagt, dass er durch die Wissenschaft Gott nähergekommen sei. Da klingt er wie Johannes Kepler, dieser große Astronom, der glaubte, Gott mit den Händen "im Weltraum greifen" zu können. Mir geht es ähnlich. Je tiefer wir Menschen in den Weltraum blicken, umso näher kommen wir den Anfängen – und dem Ziel unseres Kosmos. All die Gedichte über Sterne, die Anekdoten aus dem Weltraum tun meinem Glauben gut. Sie stärken mein Vertrauen darin, dass Gott an den Rändern des Urknalls wartet. Wenn alles mit allem zusammenhängt, dann auch meine Seele mit den Sternen. Gott wird die Elemente meines Körpers neu formen. Meine Seele bleibt. Dafür ist Christus erschienen und in den Himmel aufgefahren. Ich bin ein Weltraummystiker geworden, bete wie Buzz Aldrin auf dem Mond: "Wenn ich den Mond und die Sterne sehe – allen hast du ihre Bahnen vorgezeichnet. Was ist da der Mensch, dass du an ihn denkst (Ps 8,4-5. i.A.)?"
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
1. Frank Sinatra, Fly me to the moon (In Other Words)
2. Matthew Southern Comfort - Later that same year, Woodstock
3. Chuck Berry, Johnny B. Goode
4. Music from the orginal television soundtrack. Star Trek: Voyager, Main Title
5. Mellon Coolie and the Infinite Sadness, Tonight Tonight
6. Matthews Southern Comfort - Later that same year, Woodstock
7. Frank Sinatra, Fly me to the moon (In Other Words)
Literatur dieser Sendung:
1. E.Cardenal, Wir sind Sternenstaub. Neue Gedichte und Auswahl aus dem Werk, Wuppertal 1993.
2. E.Cardenal, Gesänge des Universums | Cántico cósmico, 2Bde., Wuppertal 1995.
3. E.Cardenal, Zyklus der Sterne, Wuppertal 2006.
4. H.Falcke, Licht im Dunkeln. Schwarze Löcher, das Universum und wir, Stuttgart 2020.
5. Catalogue of Manmade Material on the Moon. NASA History Program Office. 7-05-12: https://www.nasa.gov/wp-content/uploads/2024/02/final-catalogue-of-manmade-material-on-the-moon.pdf
6. J.Grolle, Das Geheimnis der Schöpfung. Eine Entdeckungsreise zum Ursprung des Universums: DER SPIEGEL Nr. 52/ 23.12.2022, S.94-101.
7. J.Hübner: Die Theologie Johannes Keplers zwischen Orthodoxie und Naturwissenschaft., Tübingen 1975, S. 306.
8. J.Kepler, Somnium: Keplers Traum vom Mond (1634). L. Günther (Hg.), Leipzig 1898: https://de.wikisource.org/wiki/Keplers_Traum_vom_Mond
H.Koch, Ernesto Cardenal, München 1992.
9. Schritte auf dem Mond. Tim und Struppi, Hamburg 1998. Das Original der Geschichte ist im bergischen Magazin "Tintin" erschienen. Vom 15. April 1952 bis zum 30.12.1953.
10. G.Sparrow, Welche Form hat der Weltraum? München 2019.
11. S.Schmitt, Bon voyage mit Bach und Berry: DIE ZEIT N0 46 (07.11.2019), S.41.
12. J. Schumacher, Im Weltraum, bei Gott: PRO. Das christliche Medienmagazin; 18. Juli 2019: https://www.pro-medienmagazin.de/im-weltraum-bei-gott/ + Tanja Griesel für hr1-Zuspruch am 12.04.2022, Juri Gagarin: https://www.kirche-im-hr.de/sendungen/2022/hr1-zuspruch/04/12-juri-gagarin/
13. P.Sterninger, Wir sind Sternenstaub: Süddeutsche Zeitung (27.07.2017). Zu finden auf: https://www.sueddeutsche.de/wissen/astronomie-wir-sind-sternenstaub-1.3605713.
14. K.Langanke u. M.Wiescher, Der Ursprung der Elemente: Spektrum der Wissenschaft, Magazin 09.10.2018. Zu finden auf: https://www.spektrum.de/magazin/der-ursprung-der-elemente/1593148
15. "Wussten Sie schon …? Abendmahl auf dem Mond": 2017. Nach Gottes Wirt reformiert. Magazin des Reformierten Bundes zum Reformationsjubiläum. Hrsg. vom Reformierten Bund, der Ev.-ref. Kirche, der Lippischen Landeskirche und der Ev.-ref. Landeskirche des Kantons Zürich, 2016. S.16.
16. "A Conversation With Nick Sagan" auf dem Youtube-Kanal TJ Horgan: https://www.youtube.com/@tjhorganTV