Morgenandacht
Jakob der Lügner
14.02.2015 05:35

„Das achte Gebot. Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Was ist das? „Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsern Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.“ So steht es in Martin Luthers kleinem Katechismus, so lernen es die Kinder seit Generationen und eigentlich müsste damit alles klar sein. Du sollst nicht lügen! – was braucht es mehr, um der Wahrheit die Ehre zu geben.

 

So klar und einfach aber ist es nicht. Ein Defa-Film aus den siebziger Jahren setzt ein Fragezeichen hinter das achte Gebot. Er heißt „Jakob der Lügner“ und ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Jurek Becker. Ein DDR-Film, der sogar für den Oskar als bester fremdsprachiger Film nominiert war.

 

Erzählt wird eine Geschichte aus einem jüdischen Ghetto. Die Menschen sind verzweifelt. Sie sind der Willkür ihrer Aufseher ausgeliefert. Verbote und Anordnungen regeln ihren Alltag. Dennoch versuchen sie, soviel Normalität wie möglich zu leben. Die scheinbare Ausweglosigkeit ist ihr größter Feind.

 

Mischa ist für eine handvoll Kartoffeln bereit, sein Leben zu riskieren. „Ob ich nun verhungere oder beim Klauen erschossen werde, das kann mir doch egal sein“, hört man ihn sagen.

 

Jakob Heim ist auf dem Flur der Gestapokommandantur - wegen angeblicher Überschreitung der Ausgangssperre. Zufällig erfährt er über die deutschen Radionachrichten vom Vormarsch der Roten Armee.

 

Die Nachricht verbreitet er in Windeseile im ganzen Ghetto. Er macht den Menschen wieder Mut. Die Selbstmorde, die an der Tagesordnung waren, hören schlagartig auf. Die Menschen beginnen wieder Zukunftspläne zu schmieden.

 

Da Jakob von seinem Aufenthalt bei der Gestapo nicht sprechen will, behauptet er, ein Radio zu besitzen.

 

Nun kommen die Leute zu ihm. Sie wollen immer neue Nachrichten über den Vormarsch der Russen erfahren. Was sagt Churchill zum Krieg? Wie steht es um die Gründung eines jüdischen Staates? Es gibt so vieles, was man wissen möchte, und jede Nachricht von draußen ist ein kleiner Hoffnungsfunke im jüdischen Ghetto.

 

Jakob Heim sieht sich gezwungen, immer neue Nachrichten zu erfinden. Er lügt - aus Barmherzigkeit. Der Lebensmut, den er damit verbreitet, ist die Triebfeder weiterzumachen. Und weiter zu lügen. Zuerst kommt ihm ein kleines Mädchen auf die Schliche. Für sie erfindet er Nachrichten und Märchen. Noch kann sie die Welt des Ghettos und der Fantasie nicht trennen. Aber die Bruchstelle wird deutlich. Das Spiel ist nicht durchzuhalten, irgendwann wird der Schwindel auffliegen.

 

Schließlich offenbart sich Jakob Heim seinem Freund Kowalski, der ein dankbarer Abnehmer für jede gute Nachricht war. Daraufhin resigniert Kowalski und nimmt sich das Leben.

 

Welche Macht hat die Hoffnung, welche Macht hat die Realität? Ist eine Lüge aus Barmherzigkeit zu rechtfertigen? Lädt man Schuld auf sich, wenn man sich durchringt, die Wahrheit zu sagen? Der Film gibt keine eindeutigen Antworten, er zeigt jedoch in welch ein Dilemma man geraten kann, wenn das Leben elementar bedroht ist.

 

„Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsern Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.“

 

Vielleicht gibt Luthers Auslegung des achten Gebotes zumindest eine Verstehenshilfe. Denn Luther sagt, dass es darum geht, niemandem zu schaden, sondern alles zum besten zu kehren.

 

Das zumindest hat Jakob Heim versucht, selbst wenn er am Ende gescheitert ist.